1.
Der Text zeigt das Dilemma aller Perspektivdiskussionen im Ruhrgebiet auf. Es gibt eine glorifizierte Vergangenheit mit mächtigen Bildern, aber keine entsprechenden Symbole für die Zukunft. Der Grund liegt in der Tatsache, dass Strukturwandel zwar stattgefunden, aber weder ökonomisch noch technisch zu einer neuen nationalen und internationalen Führungsrolle geführt hat.
Das Ruhrgebiet war zwar „nur“ ein Industriegebiet, aber es war das führende Industriegebiet Europas und als solches von zentraler ökonomischer und technischer Bedeutung für jede deutsche Regierung. Mittlerweile ist es, trotz Strukturwandel, zur nationalen und internationalen (Subventions-)Last geworden. Der Strukturwandel war und ist deswegen auch nicht in der Lage einen entsprechenden neuen Mythos zu erzeugen.
Die besondere und neue Sehnsucht nach der Vergangenheit liegt im Ruhrgebiet also nicht nur daran, dass nach der im Artikel richtig beschriebenen Phase der Abrisswut die erhaltenen baulichen Zeitzeugen eine besonders widerständige Aura bekommen haben, sondern daran, dass Menschen, die kein klares Bild von ihrer Zukunft haben, in besonderer Weise an ihrer Vergangenheit hängen.
2.
Der Text unterschlägt die schiere Menge der Industriekultur im Ruhrgebiet. Es gibt hier über 2000 Industriedenkmäler. Allein diese Zahl macht deutlich, welche finanzielle Last ihr materieller Erhalt und die damit verbundene ideelle und geistige Vermittlungs- und Erinnerungsarbeit für die öffentlichen Haushalte bedeutet. Sie lässt sich auf Dauer nur tragen, wenn sich das Ruhrgebiet wieder aus den roten Zahlen herausbewegt.
Würde man jetzt an jedes dieser Ensembles deutlich sichtbar die Summen schreiben, die sie bislang gekostet haben und in den kommenden 20 Jahren noch kosten werden, dann würde sich die Begeisterung bei großen Teilen der Bevölkerung schnell legen bzw. ins Gegenteil umkehren. Aus der Gemeinsamkeit mythischer Geschichtsbeschwörung würde ein massiver Streit über den Sinn solch aufwendiger Erinnerungsarbeit entstehen.
Letztlich könnte die damit unausweichlich verbundene öffentliche Debatte sogar nützlich sein, um sowohl den neuen Mythos des Strukturwandels als auch den alten Mythos der heroischen kollektiven Schwerstarbeit vom Kopf auf die Füße zu stellen.
3.
Die Musealisierung der Kohle- und Stahlepoche des Ruhrgebiets unterschlägt auch, dass weltweit sowohl die Energiegewinnung aus Kohle als auch die Stahlproduktion keineswegs zu Ende geht. In China z.B. arbeiten über eine Millionen Menschen in Kohlezechen, deren technischer Standard weit unter dem der Zeche Zollverein liegt, als sie noch aktiv war. Der größte Stahlkonzern der Welt ist in indischem Besitz und übertrumpft weltweit alles, was der Ruhrstahl je an Bedeutung hatte.
Die Frage nach dem Industriestandort Deutschland stellt sich in diesem Rahmen zu Zeit übrigens brennender denn je. Dabei geht es eben nicht um die industrielle Vergangenheit sondern um die industrielle Zukunft auch des Ruhrgebietes. Diese dringend notwendige Zukunftsdebatte wird in dem Text nicht einmal angedeutet.
4.
Was im Text ebenfalls fehlt, ist die bisherige Praxis der Umnutzung der Industriekultur des Ruhrgebietes. Auch sie ist in der Regel ökonomisch ein Fass ohne Boden. Ein zu seinem Erhalt subventioniertes Gebäude wird auf Steuerkosten so umgebaut, dass dort, ebenfalls öffentlich gefördert, Kultur veranstaltet wird bzw. Kultureinrichtungen ihren dauerhaften Platz finden.
Das ist nicht grundsätzlich falsch, aber im Gegensatz zu Berlin z.B. wird im Ruhrgebiet nur in absoluten Ausnahmefällen auch eine ökonomisch gewinnbringende gewerbliche oder wohnbezogene Umnutzung angestrebt. Als sogenannter Kreativer im Ruhrgebiet ein Fabrikloft zu finden ist, zumindest in zentraler urbaner Lage, fast unmöglich.
Voraussetzung wäre dabei natürlich auch ein flexiblerer baulicher Umgang als es die Denkmalgesetzgebung in der Regel bietet. Zumindest wäre im Ruhrgebiet dringend eine Debatte nötig, wie eine solche Flexibilisierung aussehen könnte, ohne wesentliche industriekulturelle Forderungen zu verletzen.
Entscheidender als die Verbindung von Ökonomie und Denkmalschutz wäre aber für das Ruhrgebiet, dass gewerbliche und wohnbezogene Umnutzung eher ein tragfähiges Zukunftsbild erzeugen als hochsubventionierte Kulturevents. Erst recht, wenn sie sich qualitativ und quantitativ auch noch gegenseitig die immer weniger werdenden potentiellen Besucher abjagen.
5.
Der Text betrachtet zwar die Musealisierung der Industriekultur anhand des Phantomschmerzes kritisch, bleibt aber selbst in der Musealisierung verfangen. Ohne Zukunftsdebatte lässt sich der sinnvolle Umgang mit der Vergangenheit eben nicht ausreichend bestimmen. Dabei wäre selbst die Feststellung der Zukunftslosigkeit respektive die Normalisierung des Ruhrgebiets als Gegend ohne besondere Eigenschaften ein tragfähigerer Ausgangspunkt als der neue Mythos vom dauernden Strukturwandel.
Die Schachtzeichen haben dies eindrucksvoll selbst bewiesen. Als die Luftballons wieder weg waren blieben auch von ihnen nur die Erinnerung an die Aktion respektive die Fotos und Filme davon. Ein neues Bild der Zukunft wurde mit ihnen nicht geschaffen. Im Gegenteil, ihr Verschwinden hat deutlicher denn je gemacht, dass bislang nichts das Verschwinden der vielen Zechen visuell ersetzen konnte.
Arnold VoßKommentar am 21.05.2014 um 07:08
1.
Der Text zeigt das Dilemma aller Perspektivdiskussionen im Ruhrgebiet auf. Es gibt eine glorifizierte Vergangenheit mit mächtigen Bildern, aber keine entsprechenden Symbole für die Zukunft. Der Grund liegt in der Tatsache, dass Strukturwandel zwar stattgefunden, aber weder ökonomisch noch technisch zu einer neuen nationalen und internationalen Führungsrolle geführt hat.
Das Ruhrgebiet war zwar „nur“ ein Industriegebiet, aber es war das führende Industriegebiet Europas und als solches von zentraler ökonomischer und technischer Bedeutung für jede deutsche Regierung. Mittlerweile ist es, trotz Strukturwandel, zur nationalen und internationalen (Subventions-)Last geworden. Der Strukturwandel war und ist deswegen auch nicht in der Lage einen entsprechenden neuen Mythos zu erzeugen.
Die besondere und neue Sehnsucht nach der Vergangenheit liegt im Ruhrgebiet also nicht nur daran, dass nach der im Artikel richtig beschriebenen Phase der Abrisswut die erhaltenen baulichen Zeitzeugen eine besonders widerständige Aura bekommen haben, sondern daran, dass Menschen, die kein klares Bild von ihrer Zukunft haben, in besonderer Weise an ihrer Vergangenheit hängen.
2.
Der Text unterschlägt die schiere Menge der Industriekultur im Ruhrgebiet. Es gibt hier über 2000 Industriedenkmäler. Allein diese Zahl macht deutlich, welche finanzielle Last ihr materieller Erhalt und die damit verbundene ideelle und geistige Vermittlungs- und Erinnerungsarbeit für die öffentlichen Haushalte bedeutet. Sie lässt sich auf Dauer nur tragen, wenn sich das Ruhrgebiet wieder aus den roten Zahlen herausbewegt.
Würde man jetzt an jedes dieser Ensembles deutlich sichtbar die Summen schreiben, die sie bislang gekostet haben und in den kommenden 20 Jahren noch kosten werden, dann würde sich die Begeisterung bei großen Teilen der Bevölkerung schnell legen bzw. ins Gegenteil umkehren. Aus der Gemeinsamkeit mythischer Geschichtsbeschwörung würde ein massiver Streit über den Sinn solch aufwendiger Erinnerungsarbeit entstehen.
Letztlich könnte die damit unausweichlich verbundene öffentliche Debatte sogar nützlich sein, um sowohl den neuen Mythos des Strukturwandels als auch den alten Mythos der heroischen kollektiven Schwerstarbeit vom Kopf auf die Füße zu stellen.
3.
Die Musealisierung der Kohle- und Stahlepoche des Ruhrgebiets unterschlägt auch, dass weltweit sowohl die Energiegewinnung aus Kohle als auch die Stahlproduktion keineswegs zu Ende geht. In China z.B. arbeiten über eine Millionen Menschen in Kohlezechen, deren technischer Standard weit unter dem der Zeche Zollverein liegt, als sie noch aktiv war. Der größte Stahlkonzern der Welt ist in indischem Besitz und übertrumpft weltweit alles, was der Ruhrstahl je an Bedeutung hatte.
Die Frage nach dem Industriestandort Deutschland stellt sich in diesem Rahmen zu Zeit übrigens brennender denn je. Dabei geht es eben nicht um die industrielle Vergangenheit sondern um die industrielle Zukunft auch des Ruhrgebietes. Diese dringend notwendige Zukunftsdebatte wird in dem Text nicht einmal angedeutet.
4.
Was im Text ebenfalls fehlt, ist die bisherige Praxis der Umnutzung der Industriekultur des Ruhrgebietes. Auch sie ist in der Regel ökonomisch ein Fass ohne Boden. Ein zu seinem Erhalt subventioniertes Gebäude wird auf Steuerkosten so umgebaut, dass dort, ebenfalls öffentlich gefördert, Kultur veranstaltet wird bzw. Kultureinrichtungen ihren dauerhaften Platz finden.
Das ist nicht grundsätzlich falsch, aber im Gegensatz zu Berlin z.B. wird im Ruhrgebiet nur in absoluten Ausnahmefällen auch eine ökonomisch gewinnbringende gewerbliche oder wohnbezogene Umnutzung angestrebt. Als sogenannter Kreativer im Ruhrgebiet ein Fabrikloft zu finden ist, zumindest in zentraler urbaner Lage, fast unmöglich.
Voraussetzung wäre dabei natürlich auch ein flexiblerer baulicher Umgang als es die Denkmalgesetzgebung in der Regel bietet. Zumindest wäre im Ruhrgebiet dringend eine Debatte nötig, wie eine solche Flexibilisierung aussehen könnte, ohne wesentliche industriekulturelle Forderungen zu verletzen.
Entscheidender als die Verbindung von Ökonomie und Denkmalschutz wäre aber für das Ruhrgebiet, dass gewerbliche und wohnbezogene Umnutzung eher ein tragfähiges Zukunftsbild erzeugen als hochsubventionierte Kulturevents. Erst recht, wenn sie sich qualitativ und quantitativ auch noch gegenseitig die immer weniger werdenden potentiellen Besucher abjagen.
5.
Der Text betrachtet zwar die Musealisierung der Industriekultur anhand des Phantomschmerzes kritisch, bleibt aber selbst in der Musealisierung verfangen. Ohne Zukunftsdebatte lässt sich der sinnvolle Umgang mit der Vergangenheit eben nicht ausreichend bestimmen. Dabei wäre selbst die Feststellung der Zukunftslosigkeit respektive die Normalisierung des Ruhrgebiets als Gegend ohne besondere Eigenschaften ein tragfähigerer Ausgangspunkt als der neue Mythos vom dauernden Strukturwandel.
Die Schachtzeichen haben dies eindrucksvoll selbst bewiesen. Als die Luftballons wieder weg waren blieben auch von ihnen nur die Erinnerung an die Aktion respektive die Fotos und Filme davon. Ein neues Bild der Zukunft wurde mit ihnen nicht geschaffen. Im Gegenteil, ihr Verschwinden hat deutlicher denn je gemacht, dass bislang nichts das Verschwinden der vielen Zechen visuell ersetzen konnte.
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