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Emscher 3.0

Der Emscher-Umbau als Vorbild für die Gestaltung zukunftsfähiger Infrastrukturen

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Die Emscher steht, wie kaum ein anderer Fluss, für den Wandel ihres Einzugsgebiets. Der zu Beginn der 1990er Jahre eingeleitete Emscher-Umbau markiert das dritte Leben des Flusses und illustriert die umfassende Bedeutung einer neuen Infrastruktur für die Entwicklung einer gesamten Region. Zugleich liefert er Hinweise für die Neugestaltung von Infrastrukturen auch in anderen Bereichen – von der Energie- bis zur Mobilitätswende: ein neues Leitbild für Infrastrukturen, in dem Technik, Ökologie, Ökonomie und Soziales miteinander verbunden sind.

Gesucht: Leitbilder für einen nachhaltigen Wandel von Infrastruktursystemen

Infrastrukturen sind die Voraussetzung für das Funktionieren moderner Gesellschaften. Sie sind entscheidend dafür, ob der Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung gelingt. Darüber hinaus prägen sie das Gesicht, die Struktur und die Entwicklung von Regionen.Im Zuge sich verändernder demografischer, technologischer, ökonomischer und ökologischer Rahmenbedingungen ist das Zeitfenster für eine grundlegende Diskussion und Modernisierung von Infrastrukturen günstig. In den kommenden Jahrzehnten steht nicht nur im Ruhrgebiet eine grundlegende Um- und Neugestaltung von Infrastrukturen an: Wichtige Beispiele sind die dezentrale und regenerative Gestaltung der Energieversorgung, der Umbau zu energieeffizienten Gebäudestrukturen und zu an den demografischen Wandel angepassten Stadtstrukturen, die Modernisierung des Verkehrssystems im Sinne nachhaltiger und flexibler Mobilitätskonzepte sowie die Anpassung industrieller Infrastrukturen an den fortschreitenden ökonomischen Strukturwandel. In jedem dieser Bereiche stellen sich die Fragen, die auch beim Emscher-Umbau gestellt wurden und werden: Fragen nach der richtigen Steuerung der Umbauprozesse, nach geeigneter Partizipation, nach der Verknüpfung mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in der Gesamtregion. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen besteht ein großer Bedarf an guten Beispielen für eine nachhaltige und gemeinschaftliche Neugestaltung von Infrastrukturen. Inwieweit liefert der Emscher-Umbau Erkenntnisse, die auch für andere Infrastrukturprojekte in der Metropolregion Ruhr und darüber hinaus wertvoll sind? Welche Strahlkraft kann der Emscher-Umbau für die Region insgesamt entfalten? Die aktuelle Studie des Wuppertal Institut für Klima, Energie und Umwelt GmbH „Emscher 3.0. Von Grau zu Blau oder wie der blaue Himmel über der Ruhr in die Emscher fiel.“ arbeitet heraus, inwieweit der Emscher-Umbau als Beispiel für die nachhaltige Entwicklung einer industriellen Schlüsselregion und als Blaupause für die Modernisierung anderer Infrastrukturbereiche dienen kann.

Von der Emscher 1.0 zur Emscher 3.0

Die Emscher ist Symbol für den Strukturwandel im Ruhrgebiet: Wie kaum ein anderer Fluss spiegelt sie die Geschichte ihrer Region wider. Die Emscher war Teil einer regionalen Industrie-Infrastruktur. Sie durchzieht das gesamte Ruhrgebiet, sie steht für die ‚schmutzige’ Seite der industriellen Erfolgsgeschichte. Ihre Renaturierung markiert daher in besonderer Weise einen Umbruch und Aufbruch in der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung des Ruhrgebiets. Die Geschichte der Emscher lässt sich dabei grob in drei Phasen unterteilen: In der Ursprungsphase bis Mitte des 19. Jahrhunderts mäandrierte die "Emscher 1.0" in ihrem natürlichen Zustand ohne nennenswertes Gefälle durch eine dünn besiedelte Bruchlandschaft. Hundertfünfzig Jahre Industrialisierung und Siedlungswachstum haben das Gesicht der Emscher für immer verändert: Bergsenkungen machten eine unterirdische Abwasserführung in Kanälen unmöglich und zerstörten den natürlichen Wasserkreislauf nachhaltig – der Fluss wurde tiefer gelegt, befestigt, eingedeicht und als „natürliches Element“ in die regionale Abwasserinfrastruktur integriert. Als offener, verschmutzter Abwasserablauf für die umliegenden Industrieunternehmen und Haushalte war die "Emscher 2.0" Instrument, Sinnbild und Zeugnis der Industrialisierung. Mit dem Ende des Bergbaus sanken die Risiken der unterirdischen Abwasserführung. Gleichzeitig ging mit dem regionalen Strukturwandel auch ein Wandel der ökologischen Leitbilder einher: ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung einer intakten Umwelt führte gerade in der Wasserwirtschaft dazu, dass die Gewässer mehr in den Mittelpunkt des Interesses rückte. Mit der Entscheidung, die Abwasserinfrastruktur unterirdisch zu erneuern und gleichzeitig den Gewässerlauf als ökologisch wertvollen Lebensraum in der Region zu „revitalisieren“, wird die "Emscher 3.0" heute zu einem gestaltenden Element des Strukturwandels, das zur Aufwertung der gesamten Region und zu mehr Lebensqualität führen kann.

Vom blauen Himmel über der Ruhr zur blauen Emscher

Das Ruhrgebiet war Anfang der 60er-Jahre schon einmal Ausgangspunkt für einen fundamentalen ökologischen Strukturwandel: Im Bundestagswahlkampf von 1961 gab Willy Brandt die Formel aus, dass der "Himmel über der Ruhr wieder blau" werden muss. Sie gilt als Beginn der Umweltpolitik in Deutschland. In den Folgejahrzehnten gelang genau dieser Umbau. Er war dabei wie der Emscher-Umbau nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein zutiefst soziales Projekt: Sollten doch diejenigen, die durch ihre Industriearbeit den Wiederaufstieg Deutschlands nach dem Krieg möglich gemacht hatten, nicht die Haupt-Leidtragenden der (ökologischen) Nebenwirkungen des industriellen Erfolges sein. Und der Strukturwandel wurde zugleich zu einer ökonomischen Erfolgsgeschichte: Er legte den Grundstein für die Weltmarktführerschaft Deutschlands im Bereich der Umwelttechnologien. Der Untertitel der Studie Emscher 3.0 greift diesen Bezug auf, wenn er methaphorisierend davon spricht, dass "der blaue Himmel über der Ruhr in die Emscher fiel." Letztlich liefert nämlich der Emscher-Umbau viele Elemente, die eine ähnliche und breit ausstrahlende Erfolgsgeschichte aus dem Ruhrgebiet markieren können, wie es die Vision vom "blauen Himmel" 1961 getan hat.

Warum war der Emscher-Umbau erfolgreich?

Eine ganze Reihe von Bausteinen erklärt den Erfolg und das besondere Transferpotenzial des Emscherumbaus:

Überzeugende Goverance-Struktur
Mit der Emschergenossenschaft gab und gibt es eine langjährig regional etablierte Organisationsform, welche in der Lage ist, langfristige, koordinierte Großprojekte unter Einbindung kommunaler und wirtschaftlicher Akteure über die Grenzen der einzelnen Ruhrgebietskommunen hinweg zu koordinieren. Entlang der Emscher übernimmt die Emschergenossenschaft seit mehr als 100 Jahren die Reinigung, Aufbereitung und Beseitigung des Abwassers und den Hochwasserschutz. Damit wurde in der Region z.B. schon frühzeitig das von der EU-Wasserrahmenrichtlinie geforderte Fluss-Einzugsgebietsmanagement betrieben.

Infrastruktursysteme als Ganzes denken
Der Emscher-Umbau geht weit über die reine Ingenieurleistung der Erstellung technischer Infrastrukturen hinaus. Er fußt auf einer integrierten System-Perspektive, welche es ermöglicht, das Zusammenspiel von Technik und der sie umgebenden Umwelt zu berücksichtigen. Gerade bei Wasser-Infrastrukturen ist die Berücksichtigung des Gesamt-Wasserkreislaufs im gesamten Fluss-Einzugsgebiet von elementarer Bedeutung – in Bezug auf den Emscher-Umbau wird dies in der Integration von technischen und wasserwirtschaftlichen Maßnahmen deutlich, welche überhaupt erst die Voraussetzungen für die ökologische Entwicklung der Gewässer schaffen. Darüber hinaus hat die Schaffung oder Modernisierung von Infrastrukturen oftmals direkt Auswirkungen auf angrenzende Ökosysteme – diese wurden im Emscher-Umbau von Beginn an in die Planungen einbezogen. Erst durch die Verbindung von Natur und Technik entwickelt der Emscher-Umbau seine Wirkung über ein rein technisches Infrastruktur-Projekt hinaus.

Kopplung von technischer, ökologischer, ökonomischer und sozialer Entwicklung
Infrastrukturen sind eingebettet in die Gesamtentwicklung ihrer Region – sie sind abhängig von den sie umgebenden technischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen und verändern diese gleichsam. Infrastrukturwandel ist deswegen immer auch gesellschaftlicher Wandel. Der Emscher-Umbau ist weit mehr als ein technisches Großprojekt – letzten Endes zielt er auf Veränderungen in vielen anderen Bereichen des Lebens und Wirtschaftens der Bürgerinnen und Bürger im Ruhrgebiet. Dies hat die Planung und Gestaltung des Emscher-Umbaus von Anfang an geprägt und eine breite Innovationskultur geschaffen. Die Erhöhung der Lebensqualität für die im Emscher-Einzugsgebiet lebenden Menschen stand dabei von Anfang an im Zentrum und prägte die stadtplanerischen, architektonischen und kulturellen Prozesse beim Emscher-Umbau. Die ökologische Revitalisierung macht das Projekt für die Menschen unmittelbar erfahrbar und schafft neue Räume für die Beteiligung, Teilhabe und Entfaltung der Menschen in der Region. Dies schuf eine hohe Akzeptanz für das Infrastrukturprojekt – eine Akzeptanz, die heute bei vielen anderen Infrastrukturprojekten zu schmerzlich vermisst wird.

Akteure und Wissen vernetzen, die Bevölkerung mitnehmen
Um ein solch komplexes Projekt wie den Emscherumbau erfolgreich zu bewältigen, muss es als gemeinschaftlicher Lernprozess organisiert sein und das Wissen aller Akteure aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft mit einbeziehen. Dabei sind innovative, oftmals informelle Planungs- und Steuerungsinstrumente in Ergänzung zu den rechtlichen Planungsinstrumenten sehr hilfreich. Sie helfen bei der Überwindung fachlicher und territorialer Grenzen und bei der Vernetzung von Akteuren. Mit dem Masterplan Emscher-Zukunft hat die Emschergenossenschaft genau ein solches Planungsinstrument mit hohem partizipativen Charakter geschaffen. Informelle Planungsinstrumente und -prozesse leben dabei vom Gestaltungswillen der beteiligten Akteure – beim Emscher-Umbau hat sich hier das Genossenschaftsmodell sehr bewährt. Unter dem Dach der Emschergenossenschaft versammeln sich die unterschiedlichen Akteure, deren gemeinsames Ziel eine verantwortungsvolle, langfristige Wertschöpfung ist. Dadurch ist es möglich, einen Transformationsprozess mit 4,5 Milliarden Euro an Investitionen über mehrere Jahrzehnte hinweg nach einem klaren Fahrplan zu vollziehen.

Auf dem Weg zu „blauen“ Infrastrukturen

Der Umbau der Emscher ist im Kern ein abwassertechnisches und wasserwirtschaftliches Infrastrukturprojekt. Doch sind mit ihm wichtige strukturpolitische Impulse für die Region verbunden, die erhebliche ökonomische, ökologische und soziale Veränderungen mit sich bringen. Dass der Emscher-Umbau solche vielfältigen Wirkungen entfalten konnte, liegt auch an der hohen symbolischen Bedeutung des Flusses und seiner Geschichte für das Ruhrgebiet und günstigen strukturellen Rahmenbedingungen. 20 Jahre Emscher-Umbau demonstrieren die große Gestaltungskraft von Infrastrukturen und betonen damit die Bedeutung von Infrastrukturen für eine gesamtgesellschaftliche nachhaltige Transformation. Eine wichtige Botschaft des Emscher-Umbaus lautet: Die Modernisierung von Infrastrukturen darf nicht allein als technische Innovationen verstanden werden. Sie ist vielmehr Teil eines ganzheitlichen Prozesses, der auch ökologische, soziale und institutionelle Innovationen erfordert. Die Vision des Neuen Emschertals ist mehr als die einer neuen und modernen Abwasserinfrastruktur. Der Emscher-Umbau macht deutlich, dass Infrastrukturen in ein komplexes Geflecht ökologischer, sozialer und ökonomischer Bedürfnisse und Perspektiven eingebettet sind. Mit der revitalisierten Emscher wird ein neuer Raum für innovatives Wirtschaften, nachhaltige Lebensweisen und kulturelle Entfaltung geschaffen werden. Darüber hinaus leistet der Emscher-Umbau einen wichtigen Beitrag dazu, die Attraktivität des Emschertals als Standort für Gewerbe- und Dienstleistungsunternehmen zu erhöhen. Das Beispiel Emscher 3.0 liefert damit für den Infrastruktur-Bau insgesamt viele Impulse und neue Perspektiven – für Energieerzeugungs- systeme, Energiespeicher- und Energieübertragungs- strukturen genauso wie für neue Mobilitätsinfrastrukturen oder sich eine weiter entwickelnde Industrieinfrastruktur. Es leuchtet hier das Leitbild von „blauen Infrastrukturen“ auf. Angelehnt an die von Gunter Pauli geschaffene Idee einer „Blue Economy“, die ökologische, soziale und ökonomische Innovationen miteinander verbindet. „Blaue“ Infrastrukturen sind dann solche Infrastrukturen, die ökologische, soziale und ökonomische Perspektiven integrieren. Der Umbau der Emscher steht idealtypisch und fühlbar für eine solche „blaue“ Infrastruktur. Damit kann der Wandel zur Emscher 3.0 Orientierung und Leitbild für die Modernisierung von Infrastrukturen im 21. Jahrhundert werden.

Autor/Autorin: Uwe Schneidewind ist Präsident des Wuppertal Institutes für Klima, Umwelt, Energie und Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal. Miriam Fekkak ist Geografin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie und eine der Autorinnen der Studie "Emscher 3.0".

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Hinter dem Bauzaun wird sie gebaut: die neue Emscher Foto: 2md / © EGLV Fotoarchiv

Infrastruktur-Großprojekte planen

Wie die Infrastruktur der Zukunft aussehen wird und aussehen soll, ist Thema vielfacher gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Nicht nur Planer, Politik und Ingenieure denken darüber nach, sondern zunehmend auch die Bevölkerung, z.B. wenn sie sich gegen die Durchsetzung und Realisierung von großen Bauprojekten wehrt. Die Haltung „Not in my Backyard (NIMBY)“ – „Technik ja, aber nicht in meiner Nähe“ ist zwar im Konkreten nachvollziehbar , im Allgemein-Übergreifenden jedoch nicht realisierbar, irgendwo müssen Autobahnen, Flughäfen, Strommasten und Heizkraftwerke ja schließlich hin. Die politisch-gesellschaftliche Kommunikation dieser Projekte wird also immer wichtiger. Dialog und Kultur spielen dabei eine zentrale Rolle.

Strukturwandel

Mit dem Begriff „Strukturwandel“ werden die Veränderungen wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Strukturen beschrieben. Es handelt sich dabei um ein globales Phänomen, das alle Länder durchlaufen. Durch technische Entwicklung verändern sich die Produktion von Waren und die Organisation der Arbeit. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der Menschen, ihre Freizeitgestaltung und die Art ihres Zusammenlebens und ist nicht automatisch von Verbesserungen und Vorteilen für alle verbunden. Die sog. „Nebenfolgen“ (Ulrich Beck) sind als Kehr- oder Rückseiten von Modernisierungsprozessen Bestandteil eines jeden Strukturwandels. Strukturwandel vollzieht sich, folgt man den 1926 von dem russischen Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew aufgestellten Thesen, in Wellen, die etwa 40 bis 60 Jahre dauern: ein sog. „Kondratjew-Zyklus“.


Großbaustelle Kanalbau in Duisburg-Stockum. Foto: Klaus Baumers / © EGLV Fotoarchiv

Energie und Energiewende

Strukturwandel in der westlichen Welt ist zumeist gleichbedeutend mit einer Ablösung der Industriegesellschaft. Im Westen ist damit nicht selten die Rede von dem Ende der Wachstumgesellschaft und dem Ende der fossilen Brennstoffe verbunden und es wird ein Umdenken zu neuen Formen der Energie-Gewinnung und zur Nachhaltigkeit gefordert. In den boomenden Gesellschaften des asiatischen Kontinents machen z.B. China und Indien deutlich, dass die Industriegesellschaft als Wachstumsgesellschaft mit einem hohen Bedarf an fossilen Brennstoffen hier gerade erst an Fahrt aufzunehmen beginnt. Die chinesische und die indische Regierung tun deshalb alles dafür, sich die Reste fossiler Brennstoffe (z.B. in Afrika) zu sichern. In den ‚alten’ Industriestaaten USA, Europa, Japan und Korea werden verschiedene Wege der Weiterentwicklung von ökonomischen Strukturen und gesellschaftliche Institutionen diskutiert. Einigkeit besteht lediglich in der Einschätzung, dass die anstehende Transformation von hoher Intensität ist und mit einer Umwertung zentraler Werte verbunden sein wird. Offen ist derzeit, ob das Ende des fossilen Zeitalters in ein solares Zeitalter führen wird, ob das Ende der Wachstumsgesellschaft in eine postindustrielle Gesellschaft führt, in der die sozialen Sicherungssysteme von der industriellen Normarbeit abgekoppelt und als Bürgerversicherung und Grundeinkommen universalisiert sein werden und ob sich neue Eigentums- und Rechtsformen mit Gemeingütern und dem Gemeinrecht etablieren werden.

Global – lokal

2015 laufen die UN-Millenniumsziele aus. Ihr Ziel war die Bekämpfung der Armut. Bis 2015 sollte der Anteil der Menschen, die von weniger als einem Dollar am Tag leben, und der Anteil der Hungernden in der Welt halbiert werden. Die Müttersterblichkeit sollte um drei Viertel gesenkt werden. Als Orientierungspunkt für diese Zahlen diente das Jahr 1990. Kritiker wenden jedoch ein, dass diese Ziele die Menschenrechte verfehlen, da sie die Hälfte der Hungernden schlicht ignoriere. Auch Demokratie und partizipative Regierungsführung werden, genauso wenig wie Frieden, Sicherheit und Abrüstung und Umweltschutz, kaum genannt. In der Diskussion über neue Entwicklungsziele fordern Stimmen aus dem Süden nun stattdessen die "Bekämpfung des extremen Reichtums".


Kanalisierung der Emscher in Holzwickede, 1927. Foto: 2md / © EGLV Fotoarchiv

Renaturierter Lauf der Emscher. Foto: Klaus Baumers / © EGLV Fotoarchiv

Renaturierung des Emschersystems

Um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts galt die Emscher als der schmutzigste Fluss Deutschlands und die „Kloake des Ruhrgebietes“. Mit dem überwiegenden Ende des Bergbaus im Ruhrgebiet bzw. seiner Nordwanderung stellen Bergsenkungen in der Emscher-Region nun kein Hindernis mehr dar, so dass mit dem Bau von unterirdischen Kanälen und der Renaturierung der Emscher begonnen wurde. Erste Schritte in Richtung ökologischem Umbau des Emschersystems wurde mit der IBA Emscherpark unter anderem mit den Radwegen Emscher-Weg und Emscher Park Radweg und dem Emscher Landschaftspark gelegt. In den 90er Jahren wurde bereits ein kurzer Abschnitt der Emscher im Rahmen der Bundesgartenschau in Dortmund renaturiert. Das zentrale Bauwerk im Rahmen der Renaturierung der Emscher bildet der Emscherkanal. Der an der Quelle der Emscher liegende Emscherquellhof wurde 2005 von der Emschergenossenschaft grundsaniert und wird für Ausstellungen und als Tagungs- und Bildungszentrum genutzt. Am 18. Dezember 2009 wurde in Dortmund-Hörde das renaturierte, oberirdische Bett der Emscher geflutet. Nachdem die Emscher an dieser Stelle über 100 Jahre verrohrt unter der Hermannshütte geflossen ist, strömt nun sauberes Wasser durch ein naturnahes Flussbett parallel zum Phoenixsee. Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres Ruhr.2010 wurde mit der Emscherkunst.2010 auf die bespielte Emscherinsel und den aktuellen Umbau des Emschersystems aufmerksam gemacht.

Wissenswertes


Eine Vision wird Realität: Jugendliche baden in der alten Emscher. Foto: Klaus Baumers / © EGLV Fotoarchiv

Leitbilder

Die Entwicklung von Leitbildern spielt in der Stadtentwicklung, der (regionalen) Struktur- und Technologiepolitik sowie in der Infrastrukturpolitik eine wichtige Rolle. Leitbilder liefern Orientierung für die beteiligten Akteure. Sie bündeln die Vorstellungen über die Zukunft und machen neue Ideen und Ansätze diskursfähig. Insbesondere bei stark dynamischen Entwicklungen, wie der Stadtentwicklung, dem wirtschaftlichen Strukturwandel oder Fragen der Ressourcenverfügbarkeit und dem adäquaten Umgang mit ihnen, können durch Leitbilder richtungsweisende und bildhafte Vorstellungen über die wünschenswerte zukünftige Entwicklung zusammengeführt werden. Sie eröffnen die Möglichkeit der Integration unterschiedlicher Konzepte und Inhalte und helfen, diese zu vermitteln. Leitbildern liegen Wertvorstellungen über das gute Leben, künftiges Wirtschaften und eine wünschenswerte Gesellschaft zugrunde.

„Blue Economy“

Die Idee der "Blue Economy" geht auf einen von Gunter Pauli geschaffenen Begriff zurück. Damit ist ein eine Wirtschaftsweise gemeint, die ihre ökologischen, ökonomischen und sozialen Grundlagen kontinuierlich reproduziert und die die Gestaltung ökonomischer Rahmenbedingungen konsequent in einen internationalen Zusammenhang einbettet. Eine "Blue Economy" steht für eine Innovations- und Strukturpolitik, die Wohlstand für viele mit einem Minimum an Umweltbelastungen verbindet.

Emscher-Geographie

Die Emscher entspringt südöstlich von Dortmund bei Holzwickede (Kreis Unna) am Haarstrang auf etwa 147 m ü. NN in einem Quellteich. Genau genommen existieren mehrere kleinere Rinnsale, aus denen die Emscher entspringt, die in besagten Quellteich münden. Das Einzugsgebiet des Flusses beträgt mit einem System von verzweigten Nebenläufen 775,466 km². In ihrem Oberlauf durchfließt die Emscher – nur durch den Höhenzug Haarstrang beziehungsweise das Ardeygebirge vom Ruhrtal getrennt – den Südosten von Dortmund und wendet sich dann nach Nordwesten. Im nördlichen Castrop-Rauxel unterquert sie den Rhein-Herne-Kanal in einem Durchlassbauwerk mit drei Betonröhren. Danach fließt sie bis Oberhausen fast durchgehend parallel zu diesem Kanal in westliche Richtung. Beim Bau des Kanals hat man die Geografie des Emschertals genutzt. In Oberhausen knickt der Fluss nach Nordwesten ab und fließt dann bis zu seiner heutigen Mündung in den Rhein bei Dinslaken-Eppinghoven. Dort ist ihre Abflussmenge auf durchschnittlich 16 m³/s angewachsen. Die Emscher fließt durch das Stadtgebiet von Dortmund, Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Herten, Herne, Gelsenkirchen, Essen, Bottrop, Oberhausen, Duisburg und Dinslaken.

Nebenflüsse

Im Umbau des Emschersystems ist neben der Umgestaltung des 85 Kilometer langen Flusslaufs auch die Renaturierung der Nebenflüsse mit einer Gesamtlänge von über 240 Kilometern enthalten, die überwiegend ebenfalls als offene Schmutzwasserläufe ausgebaut sind. Vor der Renaturierung der Emscher in einem Abschnitt müssen alle einmündenden Nebengewässer von Schmutzwasser befreit werden. Dazu werden zunächst Regenrückhaltebecken und in den Abwasserkanal Emscher (AKE) mündende Abwasserkanäle parallel zu den Bächen gebaut. Um die neuen Abwasserkanäle zu entlasten wurden auch Maßnahmen gestartet, um die Einleitung von Regenwasser in die Kanalisation zu verringern. Dort wo die Bäche heute als unterirdische Abwasserkanäle durch Siedlungsgebiet geführt werden, ist in der Regel kein Platz für eine naturnahe Gestaltung des Bachlaufs. Der Bach wird dort nach Möglichkeit als Stadtgewässer an die Oberfläche geholt. Teilweise ist aber nur der Bau eines unterirdischen Reinwasserlaufs möglich. Im Rahmen des Projekts werden auch kleinere Bäche oder Oberläufe, die nie als Schmutzwasserlauf ausgebaut waren, wieder naturnäher gestaltet.


Luftaufnahme der Emscher in Oberhausen. Foto: Torsten Erning / © EGLV Fotoarchiv

Literaturempfehlungen

Wuppertal Institut (Hg.): Emscher 3.0. Von Grau zu Blau oder wie der blaue Himmel über der Ruhr in die Emscher fiel. Verlag Kettler, Bönen 2013.

Brüggemeier, Franz-Josef/Scheck, Hanna/Schepelmann, Philipp/Schneidewind, Uwe: Vom "Blauen Himmel" zur Blue Economy. Fünf Jahrzehnte ökologische Strukturpolitik. WISO-Diskurs. Oktober 2012 Text online.


Emscherkunst: „Between the Waters: The Emscher Community Garden“ von Marjetica Potrc/Ooze Architects. Foto: Torsten Erning / © EGLV Fotoarchiv