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Transformationen der Wahrnehmung von (urbanen) Landschaften

site specific art in Kunst und ästhetischer Bildung

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Die gegenwärtig stattfindende Neuerfindung von Natur und Landschaft in der Emscherregion hat auch eine ideelle Seite: Sie spiegelt die von Menschen im sozialen Miteinander konstruierten Bedeutungen. Mit der sichtbaren Umgestaltung der Landschaft werden sich deshalb auch traditionelle Vorstellungen und Beziehungsverhältnisse verändern müssen: z.B. die von Schönheit und Nutzen oder generell diejenigen vom Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Die Kunst und ihre pädagogische Anwendung können diesen Transformationsprozess fruchtbar begleiten.

Site specific art

Ein wichtiger Impuls für die Thematisierung der Wahrnehmung und Deutung öffentlicher Räume ging von der Bildenden Kunst in den 1970er Jahren aus. Im deutschsprachigen Raum war hier besonders die Kritik an der gängigen Praxis von Bedeutung, Skulpturen für den öffentlichen Raum im Atelier anzufertigen. Den Künstlern wurde damals vorgeworfen, dass sie sich zu stark auf die kunstbezogenen Aspekte ihres Werkes konzentrieren würden und dabei die konkreten Bedingungen des Ortes, an dem ihre Skulptur schließlich stehen sollte, außer Acht ließen. Im Zuge dieser Bewegung lehnte man diese unabhängig von ihrem Wirkungsort entstandenen Skulpturen als „Innenstadtmöblierung“, „Kranzabwurfstelle“ oder Drop-Skulptur ab. Zum Gegenmodell avancierte eine Arbeitsweise, die bereits im Herstellungsprozess den sozialen, historischen, urbanen und speziell architektonischen Kontext der jeweiligen Skulptur thematisiert. Dem zweckfreien, rein an künstlerischen Kriterien orientierten (autonomen) Schaffen wird damit ein kontext- bzw. ortsbezogenes Arbeiten gegenübergestellt. Ausgehend vom englischen, weiter gefassten Begriff für Ort, der „site“, spricht man auch von site-specific art.

(Gegen)Bilder und Handlungsvorschläge

Auf der Grundlage einer ungebrochenen Wertschätzung dieser Kunstrichtung hat sich die site-specific art in den letzten dreißig Jahren umfassend entwickelt: Da finden sich der einen Seite Strategien, die über die Erzeugung von (Gegen)Bildern darauf zielen, menschliche Bilder und Vorstellungen von Landschaft zu verändern. Der prominenteste in dieser Richtung arbeitende Künstler ist Christo, dessen Verhüllung des Berliner Reichstages 1995 als „dramatisches Erlebnis von großer Schönheit“ (Christo) unvergessen ist. Mit einer paradoxen Koppelung von Entzug und Gabe schuf diese Arbeit die ideelle Grundlage dafür, dass der Reichstag nach dem Umbau durch ein gesamtdeutsches Parlament neu in Besitz genommen werden konnte. Auf der anderen Seite wären Strategien der site-specific art zusammenzufassen, die eher situativ angelegt sind. Künstler, die in dieser Richtung arbeiten, machen mit ihren Skulpturen Vorschläge für Handlungen und damit für bestimmte aktive körperliche Wahrnehmungsweisen des Publikums. Damit werden die Betrachter zu Teilnehmern, die das Kunstwerk in seinem Gebrauch vervollständigen bzw. erst erschaffen. Wie besonders die situativ orientierte ortsspezifische Kunst deutlich werden lässt, geht es bei dieser Kunstrichtung für das Publikum darum, das Kunst-Betrachten in ein alle Sinne umfassendes Wahrnehmen und sogar Handeln zu überführen. Mit dieser Wirkungsstrategie nähert sich ortsspezifische Kunst der künstlerischen Gattung an, deren eigentlicher Gegenstand die Aufführung von Handlungen zwischen Menschen ist: dem Theater. Ortsspezifische Arbeiten werden deshalb im Prinzip seit Anbeginn sowohl im Zusammenhang mit der Bildenden Kunst als auch im Zusammenhang mit dem Theater diskutiert. Mittlerweile hat sich die site specific art als eine intermediale Kunstform nicht nur zwischen Bildender Kunst und Theater ausdifferenziert, was sich auch in neuen Begriffen wie site specific theatre, site specific performance oder site specific work spiegelt.

Reale Orte und Kommunikationsräume

Trotz aller Begriffsfindungsversuche sind die Merkmale der site specific art schwer zu verallgemeinern. Eine Möglichkeit, verschiedene Arbeitsweisen zusammenzufassen, besteht neben der oben unternommenen darin zu fragen, welches Verständnis von site dem jeweiligen Kunstwerk zugrunde liegt. Unter dieser Perspektive lässt sich prinzipiell ein phänomenologisches und funktionales Konzept unterscheiden. Im phänomenologischen Konzept wird unter site ein jeweils konkreter Ort mit seinen architektonischen, sozialen und historischen Bedingungen verstanden. Das ortsspezifische Kunstwerk entsteht im unmittelbaren Bezug auf diesen einen konkreten Ort – wie z.B. die Reichstagsverhüllung von Christo oder die meisten Arbeiten in der Ausstellung „Über Wasser Gehen“ in der Seseke-Region zwischen Dortmund, Bönen, Kamen und Lünen. Die Existenz des Werkes ist damit an diesen konkreten Ort gebunden, ein Transport an einen anderen Ort würde es unweigerlich zerstören: „to move the work is to destroy the work“ (Richard Serra). Im funktionalen Konzept wird dieses Diktum der unlösbaren Verbindung von ortsbezogenem Kunstwerk und konkretem Ort aufgehoben. Die Bezugsgröße für die künstlerische Aktion ist hier nicht mehr primär der konkrete architektonische Ort, sondern vor allem der immaterielle Raum, der durch menschliche Handlungen und Diskurse erzeugt wird. Ortsbezogene Kunst, die auf einem funktionalen Konzept der site basiert, ist mobil, multimedial und partizipativ ausgerichtet. Sie findet an geeigneten Orten im öffentlichen Raum statt und kreiert verschiedene Handlungsanlässe, über die das Publikum zur Auseinandersetzung mit sozialen und kulturellen Themen angeregt wird. Das kann z.B. ein kollektives Festessen im öffentlichen Raum sein oder ein „Radioballett“, wie es die Performance-Gruppe Ligna entwickelt hat, bei dem die zu „zerstreuen Produzenten“ werdenden Zuschauer eine Choreographie von als verboten und ausgeschlossen geltenden Gesten über Kopfhörer empfangen und diese öffentlich machen.

Site specific Art in der ästhetischen Bildung

Während die einzelnen Disziplinen der ästhetischen Bildung – also die Kunst- , Musik- und Theaterpädagogik – bis in die späten 1980er Jahre den Entwicklungen innerhalb der zeitgenössischen professionellen Kunst abgrenzend gegenüberstanden, hat sich das Verhältnis seit den frühen 1990er Jahren grundlegend gewandelt. Ästhetische Bildung wird nun vielerorts als künstlerische Bildung verstanden, die ihre spezifische Wirkung aus der Anwendung von Strategien zeitgenössischer Kunst bezieht. Anders als im professionellen Feld stehen in der ästhetischen Bildung jedoch immer diejenigen im Mittelpunkt, die die künstlerischen Strategien anwenden und die Kunstwerke produzieren. Wesentliche Leitfragen in der ästhetischen Bildung lauten demnach: Welche künstlerischen Strategien sind für nicht professionelle Akteure geeignet und wie lassen sie sich vermitteln? Welche Erfahrungs- und welche Bildungsmöglichkeiten eröffnen diese Strategien den beteiligten Akteuren?
Als eine Kunstrichtung, die sich von ihrem Wesen her schon auf kunstfremde Kontexte der Lebenswelt bezieht, ist die site specific art für die Disziplinen ästhetischer Bildung von ganz besonderem Interesse. In den letzten Jahren haben insbesondere in der Kunst- und Theaterpädagogik Arbeitsweisen von site specifity an großem Einfluss gewonnen und finden sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Kontext vielfältige Anwendung. Die große Dynamik, mit der diese Aneignung von Strategien der site specific art in der Kunst- und Theaterpädagogik gegenwärtig vor sich geht, wird wesentlich auch durch zwei aktuelle Leitwerte gefördert, denen sich die ästhetische Bildung verpflichtet fühlt: dem didaktischen Leitwert der ästhetischen Forschung und dem kulturpolitischen der kulturellen Teilhabe.
Im Konzept der ästhetischen Forschung werden künstlerische Arbeitsprozesse in erster Linie als individuell und kollektiv initiierte und verantwortete Forschungsvorhaben begriffen, deren abschließende Form sich aus dem Forschungsprozess ergibt und nicht aus einem bestimmten künstlerischen Kanon. Und genau diese Merkmale sind es, die Arbeitsweisen von site specificy auszeichnen: die Erforschung der site nimmt hier notwendigerweise einen großen Raum ein, und Form wie Ergebnisse der Arbeit sind offen. Der Begriff der Kulturellen Teilhabe hingegen beschreibt die gegenwärtige Ausrichtung der kulturellen Bildung als dem Bereich, der der ästhetischen Bildung übergeordnet ist. Die Förderung kultureller Teilhabe in Projekten ästhetischer Bildung bedeutet eine Hinwendung zu nicht privilegierten Zielgruppen und eine Bevorzugung solcher künstlerischer Strategien, die Partizipation befördern und eine bewusste Erfahrung kultureller Differenz ermöglichen.

Ästhetische Forschung I: „Replacement“

Insbesondere die Site specific art, die in den letzten Jahren im Zuge einer Repolitisierung der Kunst entstanden ist, bietet für Ästhetische Forschung ein unübersehbares Repertoire an künstlerischen Strategien. In welcher Weise kann man sich die Anwendung von Strategien der site specific art im pädagogischen Kontext vorstellen? Und wie lassen sich in einer solchen Arbeit Vorstellungen von Landschaft thematisieren und sogar neu erfinden? Dazu seien abschließend zwei aktuelle Projekte skizziert, die von Studentinnen der Theaterpädagogik an der UdK Berlin entwickelt wurden. Das erste Projekt richtete sich an SchülerInnen einer zweiten Klasse aus Berlin Hellersdorf, einem Neubaugebiet und sozialem Brennpunkt. Die Studentin Nadine Boos hatte festgestellt, dass die SchülerInnen zum größten Teil ihren Stadtteil bzw. Berlin noch nie verlassen hatten und den unbekannten ländlichen Gebieten des umgebenden Brandenburgs eine abwertende Haltung entgegenbrachten. „Da ist doch nichts los!“ Eine besondere Projektionsfläche für die Kinder war dabei die Kulturlandschaft Wald – ein Ort der Angst, des Geheimnisses und diffuser Sehnsüchte. Nadine Boos konzipierte daraufhin ein dreiphasiges theaterpädagogisches Projekt, das auf Prinzipien der Ästhetischen Forschung, der Erlebnispädagogik und der site specific Art beruhte: Zu Beginn arbeitete sie in der Schule an den speziellen Bildern und Fragen der Kinder zum Wald. Danach fuhr sie mit den SchülerInnen zwei Wochenendtage in das etwa vierzig Kilometer entfernte Gebiet der Märkischen Schweiz. Neben gemeinsamen Spielen unternahmen die Kinder an diesen Tagen einzeln Forschungsgänge in den Wald, auf denen sie ihrer jeweiligen Frage nachgingen. Außerdem wurde gemeinsam ein site specific Kunstwerk geschaffen, das von einem Kunstwerk von Richard Long mit dem Titel „A Line Made by Walking“ ausging: Die Studentin regte die Kinder an, in Dreiergruppen eng beieinander auf einer gedachten Linie zwischen Lichtung und Wald jeweils so lange vorwärts und rückwärts zu gehen, bis im Gras eine Spur entstanden war. Dieses längere achtsame Gehen im Bezug zur Landschaft hinterließ nicht nur im Gras, sondern auch in den Kindern eine zarte, aber eindrückliche Spur. Den letzten Teil des Projektes bildete die Bearbeitung der gemachten Erfahrungen innerhalb einer theatralen Bearbeitung in der Schule. Entsprechend der Strategie des Replacements übertrugen die Kinder dabei den Wald ins Klassenzimmer und präsentierten den Zuschauern über Spiele, Erzählungen und Kommentare ihre Erlebnisse und Erfahrungen. Es war faszinierend zu erleben, wie die Kinder innerhalb der intensiven Arbeit eine veränderte Beziehung zu der ihnen vorher unbekannten Kulturlandschaft aufgebaut hatten.

Ästhetische Forschung II: „Überschreiben“

Das zweite Projekt der Studentin Anete Wolf bezieht sich auf den urbanen Raum, ist aber auch in eine Naturlandschaft übertragbar. Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Erfahrung von Prozessen der Gentrifizierung, die die Studentin veranlassten, städtische Veränderungsprozesse zu erforschen und erfahrbar zu machen. Sie konzentrierte sich dabei auf die von ihr selbst seit vier Jahren bewohnte Straße in Berlin Mitte. Als Akteure des Projektes gewann Anete Wolf drei Männer und eine Frau zwischen 46 und 85 Jahren, die jeweils eine besondere Beziehung zu dieser Straße hatten und sowohl das frühere Aussehen dieser Stadtlandschaft als auch in ihr erlebte Geschichten erinnern konnten. Die Studentin sammelte diese Beschreibungen und Geschichten auf Tonband und entwarf gemeinsam mit ihren Spieler_innen ein komplexes Textgewebe aus drei verschiedenen Zeitschichten, das entsprechend montiert wurde. Zur Präsentation waren die Zuschauer eingeladen, mit den MP 3 Playern ausgerüstet, die Straße in bestimmten Stationen zu durchwandern. Dabei trat das, was man sah und spürte, mit den gleichzeitig gehörten Geschichten in ein Spannungsverhältnis, so dass die real erlebte Gegenwart mit historischen Bildern überschrieben wurde, ohne zu verschwinden. Vergangenheit und Gegenwart waren gleichzeitig erfahrbar und kommentierten sich gegenseitig. Die große Wirkung dieser site specific performance konnte von den Zuschauern zum Abschluss in einem gemeinsamen Essen mit den Akteuren (mit)geteilt werden.

Gründe und Folgen des Handelns thematisieren

Auch wenn sich site-specific art in ihrer Vielfalt der Arbeitsweisen, Formen und Wirkungen nicht leicht fassen lässt, in ihrer prinzipiellen Ausrichtung auf die Landschaften und Themen unserer alltäglichen Lebenswelt bietet sie ein unschätzbares Repertoire zur spielerischen Beschäftigung mit Wahrnehmungen, Haltungen und Verständnisweisen. Sie thematisiert die ideellen Wirkfaktoren menschlichen Handelns im Allgemeinen. Diese im Spiel-Raum der Kunst ermöglichte Auseinandersetzung mit den Gründen und Folgen unseres Handelns bekommt besonders dann eine große Bedeutung, wenn es, wie gegenwärtig darum geht, Natur und Landschaft unter postindustriellem Vorzeichen im wahrsten Sinne des Wortes neu zu erfinden.

Autorin: Ute Pinkert ist Dramaturgin und Theaterpädagogin und hat an der Fachhochschule Potsdam und der Universität Oldenburg mit Studierenden und Schülern verschiedene Formen von site specific art erprobt. Seit 2007 ist sie Professorin für Theaterpädagogik am Institut für Theaterpädagogik an der Universität der Künste Berlin.

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Holocaust Mahnmal Berlin - Peter Eisenman. Foto: Daniel Sade CC

site-specific-art an der Seseke

Ein prominenter Vertreter dieser situativ orientierten site-specific Art ist Christian Hasucha. In der aktuellen Ausstellung „Über Wasser Gehen“ in der Seseke-Region zwischen Dortmund, Bönen, Kamen und Lünen ist er mit dem Kunstwerk „Jetzt“ vertreten: einer Mauer aus schweren Steingabionen, in der Umrisse des Wortes „Jetzt“ einen (Durch)Blick auf die langsam vorbei fließende Seseke ermöglichen. Entsprechend des jeweiligen Standortes des Betrachters eröffnet das Werk verschiedene Gebrauchsmöglichkeiten. Alle Besucher, ob sie nun philosophierend vor der Mauer stehen, für Fotos posieren oder picknicken, werden temporär zu einem Bestandteil der Installation. www.hasucha.de

Linien erzeugen

Der britische Künstler Richard Long fotografierte 1967 eine von ihm in Gras getretene Spur als physische Intervention in die Landschaft. Entstanden während der Pause zwischen zwei Mitfahrgelegenheiten beim Trampen durch Südengland, thematisiert „A line made by walking“ die Vergänglichkeit, Bewegung und Relativität von Erscheinungen. tate.org.uk


Niki de Saint-Phalle, Duisburg. Foto: Iwould Stay CC

Mobile, multimediale und partizipative sites

Die Performancegruppe Ligna machte 2009 in Frankfurt eine „Übung in Müßiggang“ in einer Einkaufspassage zur site-specific-art. Die Performance mit dem Titel „Verschwörung der Flaneure“ setzte an der Beobachtung an, dass es heute kaum mehr Flaneure gibt, die überflüssige Zeit verschwenden und sich selbst inszenieren. Auch Videokameras und Wachleute in Einkaufspassagen verhindern, dass sich Flaneure ziellos zwischen den Geschäften herumtreiben. Das Motto der Performance lautete deshalb: „Wer Flaneur werden will, muss also unterhalb des Radars der Überwachung bleiben. Wer Flaneur werden will, muss sich verschwören. LIGNA stellt dafür die nötigen Mittel zur Verfügung. Sie verwandeln die Teilnehmer der Performance in Flaneure, die sich in Müßiggang, der zwecklosen Zerstreuung und der Subversion bestehender Ordnungen üben.“ Vgl. blogspot.com

EmscherKids

Seit 2005 erkunden Schülerinnen und Schüler der Gesamtschulen Essen-Holsterhausen und Gelsenkirchen-Bismarck die Landschaft vor ihrer eigenen Haustür neu und vermitteln die gemachten Erfahrungen im Rahmen von Führungen anderen Kindern und Jugendlichen. Unterstützt durch die Künstlerin Katja Langer und durch professionelle Stadtführer lernen die Schüler und Schülerinnen auf ihren Exkursionen neue Perspektiven des Neuen Emschertals kennen: Regionales Wissen und neue Kontakte mit den Menschen anderer Generationen, Kulturen und Lebensvorstellungen werden von den EmscherKids akquiriert, neu formuliert und auch kreative und einfallsreiche Art und Weise an jüngere Schülerinnen und Schüler weitergeben. Die Emscherinsel bei Herne, den Resser Wald zwischen Herne, Herten und Gelsenkirchen, das Areal um die stillgelegte Zeche Graf Bismarck in Gelsenkirchen, die Kläranlage Bottrop oder den von der Emscher durchflossenen Essener Stadtteil Karnap stellen ausgewählte „sites“ dar, die von den Emscher-Kids zu ihrem ästhetischen Experimentierfeld gemacht werden. Das Projekt wurde 2010 auf weitere Schulen ausgedehnt. Vgl. eglv.de


Kranzabwurfstelle Bonn. Foto: Claus Moser CC

Christos verhüllter Reichstag. Foto: M. Joedicke CC

Das Phänomenologische in der Kunst

Es gibt keinen Sinn ohne die Sinne. Und auch Ästhetik kann nicht auf Kunstästhetik reduziert werden, sondern muss auf Fragen der Sinnlichkeit und Leiblichkeit ausgeweitet werden, und zwar im Sinne des Anschauungsbegriffes der phänomenologischen Tradition. So können auch der Zusammenhang von Sehen, Gehör, Klang, die Lebenswelt als Hörwelt oder auch die Leiblichkeit im Kontext architekturaler Raumkunst thematisiert werden. Siehe dazu: Bernhard Waldenfels: Sinnesschwellen. Studien zur Phänomenologie des Fremden 3. Frankfurt a. M.: 
Suhrkamp Verlag 1999.

Kunstobjekt BernePark

In der Emscherregion hat sich über die Jahre eine neue Denkmallandschaft herausgebildet: Industriedenkmale prägen das neue Bild einer durch die Kohle- und Metallindustrie gezeichneten Infrastruktur. Für fast vierzig Jahre wurden im BernePark Abwässer geklärt, dann wurde die Anlage mit den beiden kreisrunden Becken und dem Maschinenhaus stillgelegt und geriet fast in Vergessenheit. Bis die Emschergenossenschaft die Revitalisierung als Ort der Industriekultur beschloss. So entstand im größten Kunstprojekt des Kulturhauptstadtjahres 2010 aus der ehemaligen, unzugänglichen Kläranlage eine für die Bevölkerung offene Parkanlage: ein riesiges, begehbares „site specific art project“. Selbst die Nächte kann man hier verbringen: Das „Parkhotel“ zählt zu den ungewöhnlichsten Übernachtungsmöglichkeiten weit und breit. www.bernepark.de

Kunst am Justizgeäude Hamburg. Foto: Mark Max Henckel CC

Wissenswertes


Flüsterbrücke Dortmund. Foto: © Karl-Heinz Blomann

Intervention

Im Gegensatz zur Installation, versteht man in der bildenden Kunst unter Interventionen eine der Performance vergleichbare Kunstaktion im öffentlichen Raum, die weniger auf das Erzeugen von Artefakten, als vielmehr auf eine Transformation der Ortswahrnehmung angelegt ist. Sie ist damit orginär eine »site specific art« und thematisiert gesellschaftlich-soziale, kulturelle, funktionale, räumliche und materielle Aspekte. Intervention werden häufig - ähnlich wie Graffitti oder Street Art - ohne Auftrag oder Genehmigung im urbanen Raum realisiert. Ihr Pendant in der Natur ist die »Land Art«.

Das Prinzip der kulturellen Teilhabe

Um an der Gesellschaft und der Kultur partizipieren zu können, muss das Prinzip der Teilhabe rechtlich, geografisch, finanziell und durch Bildung abgesichert sein. Die rechtliche Voraussetzung bedeutet, dass keine Bevölkerungsgruppe und kein einzelner Mensch durch bestimmte Rechtsvorschriften von sozialen Teilhabemöglichkeiten ausgeschlossen werden darf. Die geographische Bedingung besagt, dass eine gewisse Erreichbarkeit an den Orten, an denen soziale Teilhabe realisiert werden soll, gegeben sein muss. Die finanzielle Dimension sagt, dass Teilhabe auch materielle Ressourcen benötigt, und sei es auch nur, dass Fahrgeld vorhanden ist, um die Teilhabemöglichkeit zu nutzen. Und nicht zuletzt hat jede Teilhabe auch Bildung zur Voraussetzungen, für die die öffentliche Hand Sorge tragen muss. Aber: Wer sich zudem Nutzerstudien von Kulturangeboten anschaut, stellt fest, dass weder in Hinblick auf die Generationen, noch in Hinblick auf soziale Schichten oder ethnische Indikatoren im jeweiligen Publikum auch nur annähernd ein Abbild unserer Gesellschaft vorliegt.

Denkmalschutz

Der Denkmalschutz und die Denkmalpflege sind in Deutschland behördlich organisiert. Als schützenswert im öffentlichen Raum wird dabei nicht nur Kunst & Architektur empfunden, sondern auch der gestaltete Naturraum in Parks und Grünflächen (der Schutz der »ungestalteten« Natur obliegt allerdings dem Naturschutz). Baudenkmale, Ensembles, archäologische Stätten und Parks, mit denen die Menschen ihre Umwelt gestaltet und reflektiert haben, gehören zum kulturellen Erbe der Gesellschaft. Ebenso wie künstlerische Schöpfungen, Erfindungen und wissenschaftliche Entdeckungen sind Denkmale Gegenstände gemeinschaftlicher Erinnerung. Besonders an ihnen werden die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Vergangenheit anschaulich und in unserer Lebensumwelt unmittelbar erfahrbar. Die Aussagekraft des Denkmals ist dabei an seine materielle Substanz gebunden. Eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt von Baudenkmalen ist, dass sie kontinuierlich genutzt werden. Siehe auch: www.dnk.de (Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz).

Land Art

Die auch im Deutschen so gebräuchliche Bezeichnung der »Land Art« kommt aus einer amerikanischen Kunststömung der späten 1960er Jahre. Als site specific art beschäftigt sie sich mit der Umwandlung von geographischem Raum in gestalteten Kunstraum. Dabei konzentriert sich Land Art nicht auf eine bestimmte Skala, sondern arbeitet mit Räumen im kleinstem Maßstab bis zu ganzen Landstrichen. Land Art beinhaltet eine romantische aber auch eine explizit gesellschaftskritische Komponente. Dem Besitzbürgertum, das die Werke der bildenden Kunst nur noch als Spekulationsobjekte betrachtete, wollte man kein neues Konsumgut liefern. Die Kunst ist an den Ort gebunden, lässt sich weder in ein Museum verfrachten, noch verkaufen und ist potentiell nicht einmal dauerhaft. Heute wird die Bezeichnung „Land Art“ in sehr verallgemeinernder Weise und häufig aus werbestrategischen Gründen auf jede beliebige Art von Natur-Kunst oder Kunst in der Landschaft angewendet, obwohl aus kunsttheoretischer Sicht keinerlei konzeptionelle Beziehung zur ursprünglichen Land Art. Von Bedeutung ist in der heutigen Natur-Kunst auch der Einfluss der Natur auf die Kunstwerke. Oft verändern Witterung und Wachstum der verwendeten Materialien das Kunstwerk. So entsteht Dynamik und Prozesshaftigkeit. Daher ist die Dokumentation, vor allem die fotografische wichtig, da die wenigsten Betrachter diese teilweise langwierigen Entwicklungen mitverfolgen können.


Faulturm Herne. Foto: © EK Wagner

Literatur:

· Nick & Nicy Kaye: Site-Specific Art: Performance, Place and Documentation. Routledge 2000.
· Frederic Miller, Agnes Vandome, John McBrewster (Hg): Environmental Art: Site- specific art, Land art, Arte Povera, Sustainable art, Sustainability, Crop art, Deep ecology, Environmental movement, Environmental sculpture, Environmentalism. Alphascript 2010.
· Lambert Surhone, Miriam Timpledon, Susan Marseken (Hg): Public Art: Art, Public Domain, Site-specific Art, Public Space, Monument, Statue, Street Theatre, Street Furniture, Street Light, Graffiti, Architecture. Betascript 2010.
· Miwon Kwon: One Place After Another: Site-Specific Art and Locational Identity.MIT Press 2002.
· Werner Spies, Markus Castor: Christo und Jeanne-Claude: Grenzverlegung der Utopie. Berlin 2010.


Installation im "Goldenen Dorf", Emscherkunst 2010. Foto: © Karl-Heinz Blomann