EMSCHERplayer // Magazin // Heimat und Lebenswelten // Wasserwirtschaft – eine Überlebenstechnologie
Eine der Daseinsvorsorge verpflichtete Wasserwirtschaft muss, um die Grundbedürfnisse der Menschen langfristig erfüllen zu können, an ökonomischer, ökologischer und sozialer Tragfähigkeit eines Flussgebietes orientiert sein. Dabei müssen auch die sich verändernden Rahmenbedingungen – wie Klimawandel, demografischer Wandel und technologische Innovationen – berücksichtigt werden. Dies gilt auch bei der Gestaltung des Neuen Emschertals, die Ausdruck für Wandel und Erneuerung, für Aufbruch und Vision – für unser (Über-)Leben ist.
Globale Überlebenstechnologien heute sichern Energie, Mobilität, Wasser, Kreislaufwirtschaft, Ernährung und Gesundheit. Dabei nimmt die Wasserwirtschaft eine zentrale Stellung ein: Zur Steigerung der Effizienz ihrer Aufgaben und Prozesse engagieren sich Wasserwirtschaftsunternehmen, wie das Beispiel Emschergenossenschaft und Lippeverband zeigt, seit Jahren in den Themenfeldern Energie und Kreislaufwirtschaft. Auch die Überlebenstechnologien Gesundheit und Ernährung basieren auf den Leistungen der Wasserwirtschaft. Sie steht im Zentrum der globalen Überlebenstechnologien, muss sich stetig an veränderte Randbedingungen anpassen und ist zugleich Motor und Ideengeber für technische und strategische Weiterentwicklungen. Im Weltmaßstab betrachtet, ist eine nachhaltige Wasserwirtschaft von zentraler Bedeutung für die Lösung heutiger und zukünftiger Probleme, die mit der Entwicklung der Weltbevölkerung definitiv verschärft werden: Heute haben noch über 900 Mio. Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. 2,5 Mrd. Menschen haben nur einen unzureichenden Zugang zu sanitären Anlagen. Verunreinigtes Wasser und mangelhafte Abwasserentsorgung gelten in den Entwicklungsländern als Ursache für 80% aller Krankheiten. Jedes Jahr sterben über 5 Mio. Menschen an den Folgen schlechter Wasserversorgung. Im Jahr 2025 werden mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung, d.h. ca. 3 Mrd. Menschen, unter chronischem oder immer wiederkehrendem Wassermangel leiden. Auch die Nahrungsmittelproduktion muss weltweit an die Bedürfnisse der heute lebenden Menschen und der prognostizierten Weltbevölkerung angepasst werden. Einschließlich der Zunahme von nachwachsenden Rohstoffen wird sich der Wasserbedarf für die Landwirtschaft weltweit drastisch erhöhen.
Auch die Klimaveränderungen, deren Entwicklung heute nicht abschließend abzuschätzen ist, stellen ganz neue Herausforderungen an eine tragfähige Wasserwirtschaft. Zum Beispiel werden sich durch den erwarteten Anstieg der Meeresspiegel auch die Qualitäten des verfügbaren Grundwassers zumindest im küstennahen Bereich negativ verändern. Für Europa wird infolge des Klimawandels die Zunahme von Starkregenereignissen, Sturzfluten und Hochwassergefahren in den nächsten Jahren prognostiziert. Insbesondere extreme Regenereignisse haben ein großes Schadenspotenzial, auch für die Infrastrukturen der Wasserversorgung und der Wasserentsorgung. So können Starkniederschläge gerade in Städten große Schäden anrichten, wie es beispielsweise. am 26. Juli 2008 in Dortmund geschah. Hier fielen in nur zwei Stunden 208 mm Niederschlag/Quadratmeter und überfluteten einen abflusslosen Polder in Dortmund-Marten. Die Anpassung an den Klimawandel ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die bei der baulichen Gestaltung von Innenstädten, der Regenwasserabkopplung und der Retention von Oberflächenabflüssen beginnt und bis hin zur Verhaltensvorsorge von Grundeigentümern und baulichen Anpassungen zur Reduzierung des Schadenspotenzials reicht. Sie ist Bestandteil einer nachhaltigen Wasserwirtschaft, die Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung, den Klimawandel, die demografische, industrielle und landwirtschaftliche Entwicklung sowie die Urbanisierung bis hin zum Wachsen von Mega-Cities als globale Herausforderung zur Daseinsvorsorge versteht.
Daseinsvorsorge meint die „flächendeckende Versorgung mit bestimmten, von den politisch Verantwortlichen subjektiv als lebensnotwendig eingestuften Gütern und Dienstleistungen zu allgemein tragbaren (gleich sozial verträglichen) Preisen“. Verbunden damit ist auch die Sicherung von Grundbedürfnissen, z.B. die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung und die langfristige Sicherung der Wasserressourcen sowie weitergehende gesellschaftliche Bedürfnisse, wie Naherholung, Naturschutz, Biodiversität, Erhalt der Kulturlandschaft und Energiegewinnung aus dem Wasserkreislauf. Wenn man von Daseinsvorsorge durch die Wasserwirtschaft spricht, gibt es keine eindeutige Definition. Es werden damit aber Erwartungen geweckt, und die Definition und Ein- und Abgrenzung variiert mit dem Betrachterstandpunkt. Grundsätzlich aber orientiert sich eine der Daseinsvorsorge verpflichtete Wasserwirtschaft an einer langfristigen ökonomischen, ökologischen und sozialen Tragfähigkeit. Dabei geht es um Ressourcenschutz und Verantwortung für die Grundsätze der Nachhaltigkeit. Weil Wasserwirtschaft die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt, ist sie immer anwendungsbezogen und innovationsintensiv. Sie verfolgt enable Technologien, d.h. methodische Verfahren als Grundlage für Innovation zur Verbesserung anwendungsbezogener Technologien.
In unserer Region bedeutet dies für die Emschergenossenschaft und den Lippeverband die Anpassung und Fortentwicklung aller Elemente des Wasserkreislaufes – vom Regenwasser über den Wasserabfluss, die Abwasserreinigung, die Grundwasserregulierung und den Ausbau der ökologischen Funktionsfähigkeit von Gewässern. Darüber hinaus steht die Energiegewinnung durch Wasserkraft, die Wärmegewinnung aus Abwasser oder die Wasserstoffproduktion aus Klärgas bzw. anderen regenerativen Energien auf der Agenda. Insbesondere die stoffliche und energetische Verwertung unter dem Stichwort „Waste to Energy“ kann dabei ein wesentlicher Baustein zur CO2-neutralen Energiegewinnung sein und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Innerhalb eines Flussgebietes muss sich die Wasserwirtschaft neben der Verantwortung für die wasserwirtschaftlichen Pflichtaufgaben auch auf sich verändernde Rahmenbedingungen einstellen. Der Klimawandel, der demografische Wandel, die Veränderungen in der Industrielandschaft und die zukünftigen Erfordernisse der Landwirtschaft gehören sicherlich dazu. Häufig sind es auch Einflussfaktoren wie technologische Innovationen und Veränderungen der Gesellschaft einschließlich der einhergehenden Verschiebung von Wertesystemen, verändertem Verbraucherverhalten bis hin zur politischen Steuerung, die die Daseinsvorsorge determinieren. Wenn es als Unternehmen der Wasserwirtschaft nun gelingt, aus den Erfahrungen der Vergangenheit, den Erkenntnissen der Gegenwart auch die Anforderungen für die Zukunft zu antizipieren, kommt man dem eigenen Anspruch zur Daseinsvorsorge ein gutes Stück entgegen. Dann können neben den direkten Leistungen der Wasserwirtschaft, wie der Abwasserentsorgung, dem Gewässer- und Grundwasserschutz, der Regenwasserbewirtschaftung und dem Hochwasserschutz – bei anderen Unternehmen auch der Trinkwasserversorgung und Bewässerung – auch die vielen weiteren, indirekten Leistungen der Wasserwirtschaft gesichert und weiter entwickelt werden. Hierzu zählen u.a. der Naturschutz, der Erhalt des Landschaftsbildes in den Flusslandschaften, die Naherholung, der Tourismus sowie land- und forstwirtschaftliche Produktionsverbesserung, der Erhalt der Schifffahrt und die Nutzung von Wasserkraft.
Es sind beides Flüsse – na klar. Aber Gemeinsamkeiten? Und was haben beide mit Überlebenstechnologie und Daseinsvorsorge zu tun? Der Mekong ist einer der größten Flüsse der Welt, der durch Südostasien von China nach Vietnam fließt. Der große Strom berührt sechs Länder. Mit seinen fast 5.000 km Länge ist er deutlich länger als die Emscher – genauer gesagt: 500 mal länger – und er ist von seiner Quelle im Himalaya über die Urwälder von Laos und Kambodscha bis zu seiner Mündung ins Gelbe Meer nahezu gänzlich naturbelassen. Der Mekong war und ist die Lebensader für viele Millionen Menschen, weil über ihn das Hochwasser abfließt und damit die besiedelten Bereiche vor Überschwemmungen geschützt werden, weil über ihn die Landwirtschaft bewässert wird, der Fischfang ermöglicht wird und auch weil der Transport von Waren und Gütern und der Menschen auf ihm stattfindet. Aber auch die Emscher hat in der Region – immerhin dem am dichtesten besiedelten Ballungsraum in Deutschland – für etwa 2,5 Millionen Menschen und Hunderte von Gewerbe- und Industriebetriebe seit über 100 Jahren ebenfalls eine ganz zentrale wasserwirtschaftliche Bedeutung, ohne die sich das Ruhrgebiet nicht hätte entwickeln können. Die Bedeutung des Mekong ist heute offensichtlicher; die Bedeutung des Emscherflusses dagegen ist uns nicht mehr so bewusst. Sie ist uns abhanden gekommen. Wenn wir uns aber die junge Geschichte des Ruhrgebietes noch einmal vor Augen halten, müssen wir erkennen, dass die Emscher damals wie heute immer ein wesentlicher Bestandteil des Strukturwandels war und ist.
Der ursprünglich mäandrierende Fluss im Emscherbruch, der in Holzwickede östlich von Dortmund in den Ausläufern des Haarstranges entspringt, und der sich vor über 100 Jahren in einer Länge von 126 km zum Rhein schlängelte, hatte zu dieser Zeit nur eine geringe wasserwirtschaftliche Bedeutung. Pläne seiner Schiffbarmachung wurden bereits 1744 vom preußischen König Friedrich II verworfen. Mit dem industriellen Kohleabbau und der expandierenden Schwerindustrie aber veränderte sich die Situation dramatisch. Das Ruhrgebiet erlebte eine Bevölkerungsexplosion. In nur 50 Jahren verzehnfachte sich die Bevölkerung. Bergarbeiter aus Polen, aus Österreich, Stahlarbeiter aus Ungarn und Russland fanden hier ihre Arbeit. Der Wasserbedarf für die Produktion von Stahl und Gebrauchsgütern, aber auch der Trinkwasserbedarf der Bevölkerung, wuchs rasant. Die Abwasserentsorgung wurde ein zunehmendes Problem; insbesondere durch die Bergsenkungen des Kohleabbaus konnte der natürliche Wasserabfluss in der Emscherregion nicht mehr gewährleistet werden. Es kam zu Überschwemmungen, zu einem Hygienenotstand. Man stelle sich vor, zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es Epidemien; Typhus, Cholera, ja sogar Malaria brachen im Revier aus. Einige tausend Menschen starben in dieser Zeit. Die Weiterentwicklung der Region war seinerzeit erheblich gefährdet. Das Revier stand an einem Scheideweg – es ging damals ums Überleben. Einer der großen Wissenschaftler, Mediziner und Hygieniker der damaligen Zeit, der Nobelpreisträger Robert Koch, wurde zur Bekämpfung der Seuchen zu Hilfe gerufen. 1899 wurde die Emschergenossenschaft als erster Wasserwirtschaftsverband in Deutschland gegründet, um – heute würde man sagen – einen „Masterplan“ zu entwickeln, der die damaligen Miss-Stände beheben sollte. Es kam zu einer eindeutigen Aufteilung der Wasserversorgung und Wasserentsorgung für die Bevölkerung und die Industrie. Die Ruhr im Süden des Ruhrgebietes und die Lippe im Norden waren für die Frischwasserversorgung, d.h. für das Brauch- und Trinkwasser zuständig. In der Mitte wurde die Emscher genutzt – man könnte auch sagen benutzt oder degradiert – zur Abwasserentsorgung. Das war damals sicherlich die richtige, die einzige mögliche Entscheidung. Die wasserwirtschaftlichen Folgen sind bekannt. Die Emscher und die Nebenflüsse wurden begradigt, mit Betonsohlschalen ausgestattet und eingedeicht. Das Abwasser und das durch die Bergsenkungen ansteigende Grundwasser wurden in die Bäche gepumpt. Die Emscher wurde auf 83 km Lauflänge verkürzt. Sie verlor gänzlich ihre natürliche Einbettung in die Landschaft. Das Wasser sollte schnell in Richtung Rhein transportiert werden. Seit dieser Zeit, und das ist in der Tat in Vergessenheit geraten, hat die Emscher eine lebenswichtige Funktion für das Revier. Damals war die Emscher – wie der Mekong auch – eine Lebensader, eine Lebensader der Industrialisierung. Schon damals war sie als Sinnbild des Wandels bedeutsam. Sie war auch immer identitätsstiftend. Indem man sie als „Köttelbecke“bezeichnet, – so nennt man im Ruhrgebiet die übel riechenden Abwasserbäche – wurde ihre Funktion und ihre Bedeutung für die Region erkannt. Die Emscher wurde nie so richtig lieb gewonnen, aber sie war immer akzeptiert. Sie war ein Teil der Heimat.
Heute, 110 Jahre später, wird sie noch einmal zum Herz und Rückgrat des Strukturwandels. Die Emscher und ihre Nebenläufe werden seit 1995 durch die Emschergenossenschaft umgebaut. Der Abwassertransport in offenen Flüssen ist nicht mehr zeitgemäß, er wird auch nicht mehr akzeptiert – weder durch Rechtsnormen noch durch den Zeitgeist, der zu Recht einen nachhaltigen Umgang mit unseren Umweltressourcen fordert. Wasser, sauberes Wasser, zieht die Menschen an. Sie wollen nicht im Hinterhof an einer Köttelbecke, sondern im Vorgarten an einem sauberen Gewässer leben. Aus diesem Grund wird mit großen Kanalbauprojekten das Abwasser aus dem Fluss herausgenommen, unterirdisch zu unseren hochmodernen Kläranlagen abgeleitet, um im Anschluss daran die Gewässer ökologisch umzugestalten. Es wird nicht gelingen, einen gänzlich naturbelassenen Emscherfluss wiederherzustellen, aber der Emscher und ihren Nebengewässern wird ein neues Gesicht verliehen. In ihrem sauberen Wasser werden sich Tiere und Pflanzen wieder ansiedeln. Die Menschen werden über Fuß- und Radwege den Weg zum Wasser suchen und hier verweilen. Jugendliche von heute werden sich dann nicht mehr an eine „Köttelbecke“ erinnern, sondern an die Zeit, als das große Emscherumbau-Programm die Region verändert hat. Das Element Wasser“ – ob im Mekong oder in der Emscher – ist für alle Menschen lebenswichtig und bedarf zu jeder Zeit und an jedem Ort höchster Aufmerksamkeit. Der Schriftsteller und Abenteurer Antoine Saint Exupéry hat das Wasser in seinem Buch „Wind, Sand und Sterne“ wunderbar beschrieben: „Wasser, du hast weder Geschmack noch Farbe, noch Aroma. Man kann dich nicht beschreiben. Man schmeckt dich, ohne dich zu kennen. Es ist nicht so, dass man dich zum Leben braucht: Du selber bist das Leben!“ Es ist also existentiell wichtig, dass sich jemand um diesen Wasserschatz kümmert. Emschergenossenschaft und Lippeverband haben sich daher dem nachhaltigen, innovativen und wirtschaftlichen Umgang mit diesem Wasserkreislauf verschrieben – vom Regentropfen über das Grundwasser, vom Hochwasserschutz über die Abwasserreinigung bis hin zur ökologischen Umgestaltung unserer Gewässer. So wird das neue Emschertal zum Ausdruck für Wandel und Erneuerung, für Aufbruch und Vision – für unser (Über-)Leben.
Autor: Dr. Emanuel Grün ist Mitglied des Vorstands der EMSCHERGENOSSENSCHAFT und LIPPEVERBAND.
PDF anzeigenMekong Sewage. Foto: Tray Ratcliff (CC).
Der Wasserkreislauf ist von der Natur vorgegeben: Wasser verdunstet von der Meeres- oder Erdoberfläche und kondensiert dann zu Wolken, die über dem Land abregnen. Das Regenwasser versickert in den Untergrund und speist dort das Grundwasser oder fließt direkt in Bäche und Flüsse ab, die letztendlich wieder im Meer münden. Dieser, seit der frühen Erdgeschichte existierende, immer währende Kreislauf ist Vorbild für die Organisation und das Verständnis der Emschergenossenschaft von der Wasserwirtschaft. Sie sorgt dafür, dass die dicht besiedelte Region langfristig und nachhaltig vom Menschen für seine Zwecke genutzt werden kann. Das Wasser soll dem Menschen bei seiner Entwicklung nicht im Wege stehen, gleichzeitig sollen anthropogene Eingriffe verträglich mit dem Wasserhaushalt sein. Die Emschergenossenschaft beobachtet und misst daher die Niederschlagsereignisse, sorgt für einen für die Natur und den Menschen verträglichen Abfluss in unseren Gewässern, treibt Projekte zur Oberflächenentsiegelung und damit Grundwasserneubildung voran, und betreibt nicht zuletzt große Kläranlagen, die die Abwässer der Menschen wieder so reinigen, dass sie schadlos in die Gewässer eingeleitet werden können.
Wo der natürliche Zugang zu fließenden Gewässern nicht vorhanden oder ausreichend ist, bedient sich die Menschheit seit Jahrtausenden der Zu- und Abführung von Wasser durch Leitungen. Diese Innovation der frühen Hochkulturen machte ökonomisches und kulturelles Wachstum vielerorts erst möglich und begründete den gestaltenden Eingriff des Menschen in den Naturraum. Beispiele für frühe Wasserleitungen bzw. Aquädukte sind schon in der ägyptischen Hochkultur unter Ramses nachzuweisen. Auch das Wachstum Athens zum Zentrum griechischer Hochkultur wurde nur durch die Anlage von Aquädukten und Abwassersystemen ermöglicht. Zu den bedeutendsten Bauwerken der Antike gehören die Wasserleitungen der Römer, die quasi zum Wahrzeichen ihrer Kultur geworden sind: auf kunstvollen Bogengängen und oftmals über mehrere Etagen gebaut, durchziehen die Aquädukte noch heute unsere Landschaft. Während die frühen Hochkulturen auch bereits über ein gut ausgebautes Kanalisationssystem verfügten, ging dieses Wissen im frühen europäischen Mittelalter fast vollständig verloren. Abwässer wurden oberflächlich durch die Straßen abgeführt und zogen massive hygienische Probleme nach sich. So kam es infolge einer wachsenden Bevölkerung über Jahrhunderte hinweg zu verheerenden Pest- und Choleraepidemien. Die Industrialisierung der Neuzeit brachte die Abwassersituation mit den nun zusätzlich anfallenden industriellen Schmutzwassern und einer erneuten Verdichtung der Siedlungsräume an eine kritische Schwelle. So wurden die großen Städte zunehmend untertunnelt und systematisch entwässert. Als erste Stadt Europas war Wien 1739 komplett kanalisiert. Ab 1842 wurde auch in London mit dem Bau einer Kanalisation begonnen. Der große Aufschwung einer organisierten Wasserwirtschaft kam mit dem Wechsel ins 20. Jahrhundert.
Kommt es in der Natur zu einem ungewöhnlichen oder unerwarteten starken Wasseranfall, so droht dem Menschen auf zweierlei Wegen Unheil. Langanhaltende ergiebige Landregen können zusammen mit anderen Randbedingungen – gefrorener oder wassergesättigter Boden, zeitgleich einsetzende Schneeschmelze – zu Hochwasserereignissen in unseren Flüs-sen führen. Betroffen hiervon sind vor allem menschliche Nutzungen, die unmittelbar an die Gewässer angrenzen. Kurze Starkregen hingegen, wie z. B. ein starkes Sommergewitter, das sich bei geringer Luftbewegung nicht von der Stelle bewegt, können zu Schäden auch in Regionen führen, die weitab von Flüssen und Gewässern liegen. Im harmlosen Fall laufen einige Keller voll Wasser. Es kann aber auch, wie im Sommer 2008 in Dortmund-Marten, zur Überflutung ganzer Ortsteile kommen. Auch wenn die Folgen des Klimawandels von Wetterexperten durchaus differenziert und unterschiedlich bewertet werden, so scheint es doch, dass diese Starkregen in Folge des Klimawandels zunehmen. Die örtliche Kanalisation kann solche Regenereignisse, die statistisch manchmal nur alle 100 Jahre oder noch seltener auftreten, nicht bewältigen. Die Ortskanäle garantieren – gemäß entsprechender EU-Richtlinien – eine schadlose Ableitung von Regenereignissen, wie sie alle 20 Jahre einmal eintreten können. Eine größere Dimensionierung der Abwasserkanäle scheitert an den riesigen Kanaldurchmessern, die dann zu verbauen wären, mit nicht mehr darstellbaren Kosten. So ist der Schutz vor bzw. das Management von solchen Ereignissen als eine Gemeinschaftsaufgabe zu verstehen. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, die Folgen solcher Ereignisse in wirtschaftlich vertretbaren Grenzen zu halten. Das beginnt bei einer guten und sorgfältigen Bemessung des örtlichen Kanalnetzes, verlangt aber auch eine entsprechende Umsicht der betroffenen Bürger und ggf. auch eine entsprechende Nutzung von Kellerräumen in topografisch ungünstigen Lagen. Im Schadensfall schließlich müssen alle Organisationen gut vorbereitet zusammenarbeiten um Schäden soweit möglich in Grenzen zu halten.
In den vergangenen Jahrzehnten konnte ein Anstieg der Durchschnittstemperaturen der erdnahen Atmosphäre beobachtet werden. Der mit dieser globalen Erwärmung einhergehende Klimawandel wird in zunehmendem Maße auch in unseren Breitengraden spürbar. Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausend war das mit Abstand wärmste je gemessene und obwohl sich die tatsächliche durchschnittliche Erderwärmung nur mit 0,74°C beziffern lässt, wird sie bereits zum Problem in urbanen Lebensräumen. Die extremeren Wetterlagen von abwechselnden Trockenperioden zu Starkregenereignissen stellen die städtische Infrastruktur und damit insbesondere die Kanalnetze vor neue Aufgaben. So zielen die Strategien zur Bewältigung des Klimawandels nicht nur auf eine Vermeidung der weiteren Verschlimmerung ab, sondern auch auf die Anpassung an die neuen klimatischen Bedingungen. Um auch in Zukunft Überschwemmungen zu vermeiden und hygienische Probleme in den immer dichter besiedelten urbanen Lebensräumen auszuschließen, sind Stadtentwickler und die Wasserwirtschaft besonders gefragt.
Der Wasserwirtschaft kommen eine Reihe lebenswichtiger Aufgaben im urbanen Lebensraum zu. Die Bereitstellung und Entsorgung bzw. (Wieder-)Aufbereitung von Wasser stellt dabei ihre zentrale Aufgabe dar. Um besiedelte Gebiete bewohnbar zu machen und zu halten, betreibt die Wasserwirtschaft darüber hinaus ein Regen- und Grundwassermanagement. Durch Kanalisation, geplante Versickerung und kontrollierte Einleitung von spontan anfallenden, großen Wassermassen (vom Schmelzwasser bis zum Platzregen) in die bewirtschafteten Gewässer werden Überschwemmungen und Hochwasser vermieden bzw. begrenzt. Die Bewirtschaftung von Seen und Flüssen ist dabei kein neuzeitliches Phänomen. Im Zuge der Industrialisierung wurden dann zahlreiche Gewässer begradigt, um diese effektiver und besser kontrollierbar zu machen. Nicht nur in ihrer Funktion als Abwasserweg, sondern auch als Transportmittel und Energielieferant durch Wasserkraftwerke stieg die wirtschaftliche Bedeutung der Flüsse stetig. Mittlerweile werden einige dieser Baumaßnahmen rückgängig gemacht, waren sie doch primär den Anforderungen der Industrie, und nicht der Natur oder dem Menschen geschuldet. Als neues Aufgabengebiet hat die Wasserwirtschaft so nun die Neugestaltung des postindustriellen, urbanen Lebensraums mit übernommen: Gewässer werden renaturiert und als Naherholungs- und Freizeitgebiet erschlossen.
Als Abwasser bezeichnet man sowohl das durch privaten oder industriellen Gebrauch verunreinigte Schmutzwasser, als auch das abfließende Niederschlagswasser und Fremdwasser, das aus anderen Quellen in die Kanalisation eindringt (z.B. Grundwasser). Während industrielle Abwässer schon vor der Einleitung geklärt werden können, werden alle in Kanälen geführten Abwässer von kommunalen Kläranlagen aufbereitet und wieder in Gewässer eingeleitet. Da Regenwasser sowohl Schwebstoffe und Gase aus der Atmosphäre bindet, als auch Staub, Ruß und landwirtschaftliche Schadstoffe von Oberflächen abwäscht, ist es zumeist sehr Schadstoffhaltig und bedarf ebenfalls einer Aufbereitung. Nur nicht behandlungsbedürftige Niederschlagswasser (Reinabwässer) dürfen direkt in nahegelegene Gewässer eingeleitet oder versickert werden.. Abwasser enthält eine Vielzahl unterschiedlicher Stoffe, die gezielt behandelt werden müssen. Dazu gehören Schadstoffe (z.B. Gifte, Schwermetalle, Bakterien, Pilze & Viren), aber auch Nährstoffe (z.B. Phosphor- und Stickstoffverbindungen), die ein vermehrtes Algenwachstum ermöglichen und so wiederum zum Problem werden.
Die Emschergenossenschaft bewirtschaftet natürliche Wasserläufe in der Länge von 750 Kilometer und zusätzlich 350 Kilometer Abwasserkanäle. In ihrem Einzugsbereich werden 6,8 Millionen Einwohner mit Wasser versorgt und jährlich 920 Millionen Kubikmeter Abwässer in 56 Kläranlagen wiederaufbereitet. Zusätzlich wird in 271 Anlagen jährlich eine Million Kubikmeter Regenwasser behandelt. Zum Hochwasserschutz unterhält die Emschergenossenschaft 223 Pumpwerke und 842 Quadratkilometer Polderflächen. Durch 193 Kilometer Deichbauten steht so insgesamt ein Rückhaltevolumen von 3,3 Millionen Kubikmetern Wasser zur Verfügung.
Das Grundwasser befindet sich abhängig von den geologischen Formationen zum Teil in mehreren Stockwerken tief unterhalb der Erdoberfläche. Das Grundwasser tritt in aller Regel nicht weiter in Erscheinung, es dient dem Menschen u. a. nach entsprechender Aufbereitung zur Deckung seines Trinkwasserbedarfs. Kommt der Mensch mit seinen Nutzungen aber mit dem Grundwasser in Kontakt, so hat dies oft unangenehme Folgen. Gerade in der Emscherregion sind die geologischen Formationen und damit auch das Grundwasserregime massiv durch den untertägigen Steinkohleabbau gestört. Die gesamte Oberfläche der Emscherregion ist im Mittel um fast 4 m durch den Bergbau abgesunken, in Spitzen sogar bis zu 25 m. In solchen Tieflagen muss das Gelände künstlich durch Pumpwerke entwässert werden. Trotzdem kommt es immer wieder im Zuge der Siedlungsentwicklung zu einer Verringerung des sogenannten Flurabstandes. Das ist das Maß zwischen Grundwasser- und Erdoberfläche. In jüngerer Zeit sind insbesondere durch die Sanierung der lange Jahre schadhaften Ortskanalisation, die erhebliche Mengen des Grundwasser abtransportiert hat, schädliche Anstiege von Grundwasser beobachtet worden. Die Folgen für betroffene Anwohner sind erheblich: oft können Kellerräume langfristig nicht mehr genutzt werden. Hier ist guter Rat teuer. Aktuell haben sich die Kommunen der Emscherregion darauf verständigt, dass die Emschergenossenschaft, qualifiziert durch ihre über 100jährige Erfahrung, passende Lösungskonzepte erarbeitet. Dabei wird nicht ein Patentrezept die Lösung bringen, die Problematik erfordert eine genaue Betrachtung des Einzelfalls und ein ganzes Portfolio an verschiedenen angepassten technischen Lösungen.
· Martin Grambow: Wassermanagement: Integriertes Wasser-Ressourcenmanagement von der Theorie zur Umsetzung. Wiesbaden 2008.
· Stephanie Heiden: Hochwasserschutz heute – Nachhaltiges Wassermanagement. Berlin 2001.
· Wolfgang Geiger, Herbert Dreiseitl, Jochen Stemplewski: Neue Wege für das Regenwasser: Handbuch zum Rückhalt und zur Versickerung von Regenwasser in Baugebieten. München 2009.
· Karl-Heinz Böse: Regenwasser für Garten und Haus: Grundlagen, Planung, Anlagenbau. Staufen 2009.
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