EMSCHERplayer // Magazin // Kommunikation und Partizipation // An Herausforderungen wachsen
Auf was soll Schule im 21. Jahrhundert vorbereiten? Unsere Zeit ist geprägt von ständigem Wandel, Unsicherheit und Auflösung bekannter Strukturen. Doch statt SchülerInnen Raum für eigene Erfahrungen in dieser sich immer wieder verändernden Welt zu geben, flüchtet sich die Schule in immer strengere Regeln, Leistungsabfragen und Kompetenzraster. Sind das die Erfahrungen, die uns wirklich auf das Leben vorbereiten? Und welche Kompetenzen muss Schule über Fachkompetenzen hinaus fördern? Ein Plädoyer für ein Ausbrechen aus der gängigen Praxis. Doch jede Zeit braucht ihre eigenen Vorstreiter, um gute Konzepte Realität werden zu lassen.
„Ich hab am Anfang gedacht, ich schaffs nicht. Ich hab von Anfang an geplant, dass ich abbrechen werde. Und dann stand ich oben auf dem Berg und sagte, ich breche jetzt ab. Doch es ging einfach nicht, weil da nix war. Ich musste weiter laufen, und als wir dann am Flughafen waren, war ich so stolz auf mich selbst, ich konnte es gar nicht glauben, was ich geschafft hatte”..Dies ist eines von unzähligen Zitaten unserer SchülerInnen, die sich zu Beginn des Schuljahres auf Herausforderung begeben. In unserem Fach Herausforderung suchen sich alle Schülerinnen und Schüler des 8., 9. und 10. Jahrgangs eine individuell gewählte Herausforderung außerhalb Berlins, weg von der Heimatstadt, weg von den Eltern. Drei Wochen lang haben sie Zeit, 150 € hat jeder Schüler und jede Schülerin in der Tasche. Sie setzen sich ihre Ziele selbst, verfolgen eine eigene Vision und lernen in dieser Zeit, ganz persönliche Herausforderungen zu bestehen – in einer schwierigen Gruppe als Team zusammenzuarbeiten, das Ziel aus den Augen zu verlieren und wiederzufinden oder Hürde für Hürde zu meistern, um endlich ans Ziel zu gelangen. Dabei erfahren die SchülerInnen, was es heißt, drei Wochen (manchmal zum ersten Mal in ihrem Leben) ohne Eltern zu sein – die mitfahrenden BegleiterInnen bei längeren Fahrrad- oder Wandertouren halten sich aus dem Geschehen weitestgehend raus. Die Jugendlichen erfahren ihre eigenen Grenzen und ihre eigenen Potenziale – Erlebnisse, die unvergesslich bleiben. Sie erfahren, was es heißt, Konflikte in einer Gruppe auszuhalten und sie pragmatisch und gemeinschaftlich zu lösen. Sie lernen, auf Mensch und Umwelt zu achten, und Vertrauen gegenüber fremden Mitmenschen aufzubauen. Die SchülerInnen machen sich auf zur Arbeit auf Bauernhöfen, zu Fahrrad-, Wander- und Kanutouren, zu selbstorganisierten Kreativschreibwerkstätten, sie kreieren eigene Mode-Kollektionen und gründen im Schnellverfahren eine eigene Band – mit acht Stunden Proben am Tag, drei Wochen lang. Clara, von der das oben genannte Zitat stammt, war 18 Tage auf Korsika wandern. Mit Ausnahme von zwei Tagen kämpfte sich die Gruppe über die hügelige Insel. Als die Schülerinnen und Schüler zurück zu Schule kamen, war ihr Erfahrungsschatz um ein Vielfaches gewachsen. In diesem Lernsetting können wir als Schule gewährleisten, „dass Kinder viele unterschiedliche praktische Erfahrungen machen können. Nur diese werden im Gehirn fest verankert. Kinder brauchen immer wieder Gelegenheit, etwas zu erfahren, was unter die Haut geht, was sie berührt und begeistert“, so Prof. Gerald Hüther, Neurobiologe. „Selbstvertrauen und Zuversicht sind Fähigkeiten, die in den Menschen wachsen müssen, nicht von außen, sondern von Innen. Kleine Kinder tragen diese Kraft, sich dem Leben stellen zu wollen, noch in sich.“ An unserer Schule schaffen wir Raum für die dafür nötigen Erfahrungen und fördern Lernen auf allen Ebenen. Und noch mehr: Sich dem Ungewissen stellen und weitermachen, das sind wichtige Bestandteile der Meta-Kompetenzen für die Zukunft. Diesen Ungewissheiten hat sich die Gruppe gestellt, wenn auch nur im kleinen Rahmen. Dafür schon in einem sehr frühen Alter: unsere jüngsten ‚Herausforderer’ sind 11 Jahre alt, die ältesten 15 Jahre alt. In dieser Zeit sind viele von Ihnen das erste Mal ohne Ihre Eltern unterwegs und gehen an Ihre physischen und psychischen Grenzen. Sie lernen, mit Geld umzugehen und spontan und kreativ auf die Probleme und Herausforderungen auf Ihrer Tour zu reagieren. Dies ist nur ein Beispiel, wie Erfahrungslernen praktisch aussehen kann. Ansätze gab und gibt es genug, denn diese pädagogische Idee hat eine lange Geschichte.
Das Konzept Lernen durch Erfahrung bzw. die Idee des erfahrungsbasierten Lernens hat alte Wurzeln, wurde aber immer wieder neu aufgegriffen und an die jeweilige Zeit angepasst. Bereits Aristoteles legte großen Wert darauf, praktisches Handeln und sinnliche Erfahrung als Grundlage von Lernen zu begreifen. Wir erinnern uns an die gemachten Erfahrungen, ordnen und deuten sie und gelangen so zur Weisheit, so die Auffassung. Von Rousseau stammt die Vorstellung, dass dem Kind eine optimale Umgebung geschaffen werden müsse. Für Rousseau war es aber auch wichtig, dass das Kind das Gefühl hat, selbst das Lernen zu bestimmten: „Haltet eurem Zögling keine Reden: Er darf nur aus der Erfahrung lernen.“ Der Rahmen für die Erfahrung ist aber gesetzt: der Erwachsene steuert. Davon beeinflusst waren viele aufklärerische Lern-Theorien und deren Methodik-Reflexion. Das Ziel der Lehrer war klar: Die Erziehung zum rationalen Geist. Doch wie viel Struktur muss Schule geben, damit SchülerInnen echte Erfahrungen machen können. Wohin soll dann der Lehrer/die Lehrerin steuern? Soll er/sie bzw. kann er/sie überhaupt irgendwas steuern, wenn es darum geht, Erfahrungslernen zu ermöglichen? Der Gedanken, dass SchülerInnen ihr Lernen selbst steuern können und sich eigene Räume für nötige Erfahrungen suchen – und damit auch ihre Bildung selbst strukturieren – kam erst etwas später auf. John Dewey gilt als einer der frühesten Verfechter selbstgesteuerten Lernens: In den 1920er Jahren setzte er in Chicago seinen Gedanken der laboratory schools um. Schulen sind in seinem Denken sog. embryonic societies, sie sollen eine Vorform der Gesellschaft sein, in der SchülerInnen wichtige, gesellschaftlich relevante Erfahrungen machen können – und dadurch für die Zukunft lernen. Dies geschieht durch eine starke Bindung der Schule zu der Außenwelt und zur Gesellschaft – SchülerInnen sollen in die Welt hinausgehen. Dabei lernen SchülerInnen inzidentell, quasi zufällig, ohne gezielte Lern-Absicht, als eine Art Nebenertrag. Das Ziel Dewey’s war es, den SchülerInnen Raum zu geben, damit sie verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde werden können und damit erhielt auch die politische bzw. bürgerschaftliche Bildung einen ganz neuen Akzent: Wenn SchülerInnen bereits früh am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, erkennen sie ihre eigenen Strukturen und Muster durch konkrete und reale Erfahrungen. Die Aufgaben werden nicht von Lehrpersonen vorgegeben und das Lernen erfolgt selbstbestimmt und mittels der realen Erfahrung, die Schülerinnen machen.
Im US-amerikanischen Raum gibt es dazu eine lange Forschungstradition und eine bis heute aktive pädagogische Praxis, die sich mit verschiedenen Arten des Erfahrungslernens beschäftigt: Service learning, also das Lernen von Verantwortung durch zivilgesellschaftliches Engagement in der Schule; Civic education, eine Form der Bürgerbildung, die sich die Frage stellte, wie man demokratische Elemente in die Schule so implementiert, dass Demokratie erfahrbar wird (z.B. durch den Klassenrat, durch vielfältige Mitbestimmungsrechte der SchülerInnen in der Schule) oder auch das Erfahrungslernen in der Erwachsenenbildung.
Auch in Deutschland kritisierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschiedene soziale Bewegungen die Rationalisierung von Schule, im Zuge derer Pädagogik mehr und mehr durch Verwaltungsnormen ersetzt wurde. Noch bis in die 1950er Jahre hinein hatten Theorien des Instrumentellen Lernens und des Behaviourismus großen Einfluss. Die Behaviouristen vertraten die Vorstellung, dass Lernen durch Lob und Tadel bzw. durch Belohnen und Bestrafen gefestigt werde. In der pädagogischen Praxis hält sich dieser Trend bis heute – Diktate und die berühmten Bienchen in den Hausaufgaben-Heften lassen grüßen.
Anstöße gegen diese mechanistischen Vorstellungen kamen unter anderem aus der Psychologie: Im Laufe der 1970er und 1980er entwickelte sich Vorstellung, dass Lernen eine individuelle Verarbeitung von Informationen sei. Denken, Fühlen, Handeln, so die Annahme, sei ein individueller Prozess, der sich in neuronalen Netzen vollzieht. Diese sog. kognitive Wende in der Psychologie löste das Denken von Jean Piaget ab, der als eine wichtige Referenz für Erfahrungslernen gilt. Piaget zeigte, dass menschliches Wissen, Erkenntnis und vor allem Handlungsfähigkeit durch die Auseinandersetzung der Person mit der Umwelt geschieht. Wissen muss mit Erfahrung und Sinn verknüpft werden, nur dann, so argumentiert seit den 1970er Jahren auch die Hirnforschung, entstehen die wichtigen Neuronenverbindungen, die einem zum Handeln verhelfen. Auch die deutsche Pädagogik entwickelte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielfältige theoretische Ansätze und praktische Schul-Konzepte und -Programme. Hartmut von Hentigs Bielefelder Laborschule – eine Schule, in der Leben und Erfahrung zum Prinzip gemacht werden, ist nur ein Beispiel. Auch wurden im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung viele Modelle anderen Lernens entwickelt, z.B. erarbeitete das BLK-Projekt ‘Demokratie lernen und leben’ vielfältige Möglichkeiten, Demokratie in der Schule erfahrbar zu machen. Vielen Programmen ist gemeinsam: Schulen haben die Aufgabe, Erfahrungsräume zu schaffen. Je vielfältiger, desto besser.
Wir wissen es aus vielen Forschungen und aus der pädagogischen Praxis: Lernen durch eigene Erfahrung ist eine entscheidende Dimension für die Bildung von Persönlichkeit. Doch Schule heute hat sich eingeigelt in eine Welt der Lehrpläne und Kompetenztests, die Gesellschaft folgt dem Ideal der formellen Abschlüsse und die Politik nimmt die Kritik am bestehenden Bildungssystem gelassen. Heute dominiert eine Schule, in der Leistung vor allem getestet wird – um international vergleichbar zu sein und um damit einen Platz in den Ranglisten zwischen den Bundesländern einzunehmen. Es gilt, Zeit einzusparen, „Lernstoff“ effizienter und katalogartig zu verarbeiten, um Hürden in Form formalisierter Prüfungen nehmen zu können. Der Raum für Kreativität, für Ausprobieren, für Erfahrung aber schrumpft. Schon jetzt zeigt sich, dass dieser Weg nicht sinnvoll ist. Auf der einen Seite, gibt es eine große Anzahl an Bildungsverlierern, die von der Gesellschaft weitestgehend abgekoppelt sind und weder Perspektive noch Ambitionen haben, sich zu engagieren. Auf der anderen Seite sind Schul- und Universitätsabschlüsse immer weniger wert. Man strebt nach immer höheren Abschlüssen, die für die berufliche Tätigkeit danach nicht immer sinnvoll sind. Dies geschieht jedoch weniger aus Wissenshunger und Lust aufs Lernen, als aus einer Angst vorm Untergehen in der Masse nach der Universität oder nach der Ausbildung. In diesem Laufrad verlieren wir den Sinn für die wichtigsten Eigenschaften des Menschen: Spontanität, Mut und Risikobereitschaft. Innovationsgeist und Kreativität gehen im „heimlichen Lehrplan der Anpassung” verloren. Dies aber sind Eigenschaften, die nicht nur Unternehmen bei Schul- und Hochschulabgängern schmerzlich missen. Die Deutsche Bahn plant mittlerweile, Bewerber für einen Ausbildungsplatz nicht mehr nach der Schulnote zu beurteilen. Auch der Personalmanager von Ernst Young behauptet, dass Noten heute lediglich eine Aussage darüber machten, „wie intensiv man mit einem Lehrstoff umgeht und diesen wiedergeben kann, was noch nichts mit der Anwendung zu tun hat“. Schulnoten und Abschlüsse verlieren an Wert. Gesucht wird: die Persönlichkeit, das Talent, der bzw. die Mutige und Kreative.
Es ist deshalb erforderlich, in unseren Schulen Räume zu schaffen, in denen SchülerInnen lernen, zusammenzuleben; lernen, Wissen zu erwerben; Lernen zu handeln; Lernen für das Leben, wie die UNESCO seit dem berühmten Delors-Bericht fordert. Doch dazu braucht es besondere Räume und Aktivitäten, in denen Lernen nicht auf das Abspeichern von Informationen reduziert wird. Stattdessen muss Lernen damit verbunden sein, dass die Welt um einen herum wahrgenommen und bewertet werden kann. Lernen sollte ein Eintauchen in die Welt sein, das zu der Verknüpfung von Bekanntem und Neuem führt und zum dem Erkennen von Regelmäßigkeiten. Auch muss Lernen immer die Erfahrung von Selbstwirksamkeit bedeuten.
Wir haben kein Wissensdefizit, wir haben ein Handlungsdefizit. Schule muss deshalb Räume für Erfahrungen schaffen, die sinnstiftend sind. Erst dieser Horizont ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, eigene Ziele zu formulieren, sie zu verfolgen, nach Misserfolgen weiterzumachen und eigene Visionen umsetzen. Erst so werden Kinder in die Lage versetzt, sich kognitiv und emotional auf die unsichere Zukunft vorzubereiten, die sie erwartet.
An der Evangelischen Schule Berlin Zentrum gehen wir wichtige Schritte der Veränderung klassischer Lernsettings. Es wurden zum Beispiel neue Fächer geschaffen: Im Schulfach Verantwortung übernehmen die SchülerInnen der 7. und 8. Klasse eine Aufgabe im Gemeinwesen. Im Zuge ihrer Mitarbeit in Kindergärten, Altenheimen, öffentlichen Bibliotheken oder Behindertenwerkstätten erfahren sie, dass sie gebraucht werden und dass das Gemeinwesen sie braucht. Es wurden Lernbüros eingerichtet, in denen SchülerInnen im eigenen Tempo und mit eigenen Zielsetzungen lernen. Auch der regelmäßig abgehaltene Klassenrat trägt dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Konflikte selbst regulieren. Die Erfahrung von Gemeinschaft ist ein Grundpfeiler des Schullalltags. In solch offenen Lernsettings verändern sich auch die Aufgaben des pädagogischen Personals: Diese Lernsettings müssen erschaffen, vorbereitet, erklärt werden. Die PädagogInnen müssen faire Spielregeln in der Gemeinschaft gewährleisten und vorleben. Außerdem fangen sie Gescheiterte auf, ermutigen und begeistern Unentschlossene und Zögernde. Kurz: sie sind Coaches für das bevorstehende Leben, ohne die Verantwortung für die Schülerinnen und Schüler abzugeben. Sie sind Lernbegleiter, die die richtigen Fragen stellen und Zugänge zum Wissen zeigen.
Die Zeit ist also mehr als reif, die Erkenntnisse aus Wissenschaft und der pädagogischen Praxis und die Einsichten von engagierten Schulbeteiligten aufzunehmen. Wenn eine Schule ihre Potenziale entfalten will, muss sie eigene Wege suchen und ihrem SchülerInnen-Klientel Erfahrungsräume zur Verfügung zu stellen. Es gibt viele Lichtpunkte in Deutschland und viele staatliche und private Schulen haben Verwaltungsgeist in Kreativität und Gestaltungswillen verwandelt. Unser Fach ‚Herausforderung’ inspirierte viele Schulen – staatliche und private – ein ähnliches Modell einzuführen und aus der gängigen Schulpraxis auszubrechen. Die Initiative ‚Schule im Aufbruch’ inspirierte 17 Regionalgruppen in ganz Deutschland, kreativ nach offenen Räumen zu suchen – mit einem breiten Bündnis an jeder Schule mit Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen. So verändert sich Schule von unten und wartet nicht auf Reformen. Dies heißt nicht, dass sich Schulen nur von unten verändern sollen: Veränderung geschieht, wenn alle Beteiligten mitwirken. Mut und der Sprung ins Ungewisse ist nicht nur eine Sache der Schule. Und nicht nur Schule muss die nötigen Erfahrungen machen, die sie braucht, um im 21. Jahrhundert anzukommen. Auch Wissenschaft und Zivilgesellschaft tragen Verantwortung. Doch zu allererst brauchen wir endlich wieder mutige Bildungspolitik. Wir brauchen Impulse durch ganz Deutschland und Parteien, die mit Schule wieder Wahlkampf wagen. Die Themen brennen: Wir können uns nicht länger am Kooperationsverbot zwischen Bund und Länder aufhalten und in der Konkurrenzsucht der Bundesländer die Lösung sehen. Das Thema Bildungsgerechtigkeit muss in ganz Deutschland angegangen werden, ebenso der weitere Ausbau der Ganztagsschulbetreuung und die Verbreitung der Idee einer inklusiven Schule, um nur einige wenige gesellschaftliche Herausforderungen zu nennen. Diese Themen berühren auch die pädagogische Praxis. Wir denken, dass es notwendig ist Schule als Erfahrungsraum zu begreifen und unsere SchülerInnen dazu zu befähigen, ihre Umwelt mitzugestalten. Es liegt an uns, dies umzusetzen.
Zum Autor: Christian Hausner koordiniert das Projekt Herausforderung an der Evangelischen Schule Berlin Zentrum und ist Persönlicher Referent der Schulleitung. Er hat Politik, Philosophie und Geschichte in Bath/UK und Berlin studiert, eine Ausbildung an der School of Design Thinking in Potsdam absolviert, war als freier Referent für politische Bildung tätig und engagiert sich bei verschiedenen Bildungsinitiativen.
PDF anzeigen"Modell-Schule". Foto: Die Puppenstubensammlung (CC)
Von Mai 2011 bis Juli 2012 initiierte die Bundeskanzlerin den sog. Zukunftsdialog zu den Fragen Wie wollen wir zusammenleben? - Wovon wollen wir leben? - Wie wollen wir lernen?
Dazu diskutierten sowohl Expertinnen und Experten als auch Bürgerinnen und Bürger im Rahmen eines Bürgerdialogs, der auf der Internetplattform dialog-ueber-deutschland.de geführt wurde. Am Expertendialog waren mehr als 120 Experten beteiligt, die in 18 Arbeitsgruppen aktiv waren. Zur Frage Wie wollen wir lernen? wurden die Themen Wertevermittlung, Verbesserung des Beruflichen Lernens, Arbeitslose Jugendliche und Weiterbildung behandelt. Der Expertendialog und der Bürgerdialog folgten der Idee von Partizipation und setzten auf den Prozess des gemeinsamen Arbeitens und Diskutierens über Fächergrenzen und Erfahrungswelten hinweg.
> Dialog über Deutschland
Von 2004 bis 2008 lief das bildungspolitische Transfer der UN-Initiative Agenda 21, im Zuge dessen Maßnahmen für eine Bildung für eine nachhaltige Entwicklung entwickelt wurden. Ausgehend von der Überlegung, dass Schülerinnen und Schüler heute zukünftig konfrontiert sein werden mit den Herausforderungen der Globalisierung, Klimaveränderung, sozialen Spannungen im eigenen Land sowie mit der Armut in den Ländern des Südens, wurde die Orientierung der Bildung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung postuliert. Das Programm Transfer-21 initiierte Unterricht, der solche Fähigkeiten der Lernenden fördert, die zur Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen nötig sind. Inhaltlich wurden Themen berücksichtigt, die globale Herausforderungen aufgriffen, z.B. Gentechnologie, Umweltprobleme, interkulturelle Verständigung, Beruf und Arbeitswelt, multiple Kulturen, Müll, Energieversorgung. Ziel war es, sowohl Rahmen-Richtlinien zu erneuern als auch Netzwerke beteiligten Schulen zu gründen als auch schulische Initiativen zu einem veränderten Umgang mit natürlichen Ressourcen und neue Formen der Mitbestimmung zu fördern. Dabei konnten Schulen sich als sog. Umweltschulen gründen oder auch Initiativen zur Gestaltung des Schullebens und zur Öffnung von Schule entwickeln.
> BNE Portal
Die Bielefelder Laborschule ist staatliche Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie wurde 1974, zusammen mit dem benachbarten Oberstufen-Kolleg nach den Vorstellungen und unter der Leitung des Pädagogen Hartmut von Hentig gegründet. Sie versteht sich als eine Brücke zwischen dem Leben des kleinen Kindes in der Familie und dem Leben des Erwachsenen in einer sehr komplexen Gesellschaft und ist in Form einer vierstufigen Treppe organisiert: Viermal müssen die Kinder einen "großen Schritt" tun, der deutliche Veränderungen und jeweils mehr Verantwortung mit sich bringt. Die Schule folgt der Idee, dass Schule ein Lebens- und Erfahrungsraum ist. Der Unterricht folgt dem Prinzip, Lernen an und aus der Erfahrung (und nicht primär aus Belehrung) zu ermöglichen. Dafür werden die nähere und weitere Umgebung der Schule, die Natur, die Stadt und die Region als Lernmöglichkeiten in die schulische Arbeit einbezogen. Zudem will die Schule die Unterschiede zwischen den Kindern und Jugendlichen bewusst bejahen und als Bereicherung verstehen.
> Laborschule Bielefeld
Design Thinking ist eine Methode zur Entwicklung neuer Ideen und zur Lösung von Problemen. In Anlehnung an die Tätigkeit von Designern in Industrie und Marketing setzen sich Menschen verschiedener Lebensbereiche und Expertise zusammen und versuchen die zu bearbeitenden Probleme mittels Verstehen, Beobachtung, Ideenfindung, Verfeinerung, Ausführung und Überarbeiten zu lösen. Die Methode wird kommerziell vermarktet und auf verschiedenen Tagungen vorgestellt und kann dort von Interessierten ausprobiert werden und an einschlägigen Ausbildungsinstituten in Deutschland, aber auch in den USA studiert werden.
Die im August 2012 von der Schulleiterin Margret Rasfeld, dem Hirnforscher Gerald Hüther und Stephan Breidenbach gegründete Initiative Schule im Aufbruch arbeitet für eine Transformation des Bildungssystems in Deutschland: Schule sollen Orte der Potentialentfaltung werden und den Raum geben, dass sich junge Menschen zu aktiven und selbstbewussten Gestaltern ihres Lebens und der gemeinsamen Zukunft entwickeln können.
> Blog der Schule im Aufbruch
1997 wurde die deutsche Fassung des UNESCO-Berichts über Bildung im 21. Jahrhundert unter dem Titel "Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum" veröffentlicht, Der Bericht trägt auch den Namen des damaligen Präsidenten der EU-Kommission, Jacques Delors, und plädiert für eine starke internationale Zusammenarbeit bei Bildungsfragen und empfiehlt als Richtgröße für nationale Bildungsausgaben sechs Prozent des Bruttosozialproduktes zu verwenden.
> Unesco
Seit dem Jahr 2000 führt die OECD alle drei Jahre die sog. PISA-Studien als internationale Schulleistungsuntersuchungen durch. Gemessen werden alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten aller 15-Jährigen. Deutschland schnitt zur allgemeinen Überraschung relativ schlecht bei der ersten PISA-Studie ab. Als Problem des deutschen Bildungswesen wurde sichtbar, dass Schulerfolg noch immer in starker Abhängigkeit vom Milieu des Elternhauses steht und dass es der deutschen Schule nicht gelingt, für alle Kinder und Jugendlichen dieselben Chancen auf einen guten Schulabschluss bereit zu stellen. Dies führte zu einer umfassenden Kontroverse darüber, wie Schule neu organisiert und ausgerichtet werden sollte. Dass dies keine leichte Aufgabe ist, meint auch Andreas Schleicher, internationaler PISA-Koordinator. Er fordert eine ganz neugedachte Schule und erklärt: Die Schule der Zukunft bereite „auf ein gesellschaftliches und berufliches Leben vor, das wir heute noch nicht kennen, auf Technologien, die erst morgen erfunden werden, und hilft, Herausforderungen zu bewältigen, von denen wir heute noch nicht wissen, dass es sie gibt”.
An der Evangelischen Schule Berlin Zentrum absolvieren seit 2008 alle Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 8, 9 und 10 das Projekt „Eine Herausforderung meistern“. Dazu suchen die Jugendlichen sich für jeweils drei Wochen alleine oder in Gruppen eine Herausforderung, der sie sich stellen wollen. Das als fester und verpflichtender Bestandteil der schulischen Ausbildung etablierte Format zielt darauf, dass die Schülerinnen und Schüler, eine eigene Vision verfolgen, sich Ziele stecken, die Erfahrung von Scheitern machen und lernen, Hürden zu überwinden. Dazu haben die Teilnehmenden drei Wochen Zeit und 150,00 € in der Tasche.
Die Schulleiterin der Evangelischen Schule Berlin Zentrum Margret Rasfeld hat lange Zeit im Ruhrgebiet gearbeitet. Sie hat die Gesamtschule Borbeck in Essen mit aufgebaut (1992 bis 1997) und nachfolgend die Gesamtschule Holsterhausen mitgegründet und geleitet.
> Evanglische Schule Zentrum
> YouTube
Entrepreneurship bezeichnet die Kultur des Unternehmerischen, in der das Wirtschaftsleben auch mit Kreativität und mit Wagemut weiter entwickelt werden kann. So versteht es jedenfalls die im Jahr 2001 gegründete Stiftung Entrepreneursphip, die darauf zielt, Probleme mit Hilfe ökonomischer, sozialer und künstlerischer Fantasie zu bearbeiten. Dazu werden auch unkonventionelle Ideen und Sichtweisen von beispielsweise Künstlern oder engagierten Menschen, die bisher in der Welt der Wirtschaft nicht aktiv waren, berücksichtigt. Entrepreneurship wird hier verstanden als offene, schöpferisches Handeln anregende Angelegenheit. In jährlichen Veranstaltungen vermittelt die Stiftung Methoden und Techniken zur Erarbeitung eines tragfähigen Geschäftskonzepts.
> Stiftung Entrepreneurship
Die Geschichte der Erlebnispädagogik hängt eng mit Entwicklungen in der Philosophie, der Psychologie, der Soziologie und der Pädagogik zusammen. Die Erlebnispädagogik, wenn auch noch nicht unter diesem Begriff, war seit jeher eine Methode, die versucht hat, den Erziehungsmethoden der jeweiligen Zeit, die als reformbedürftig empfunden wurden, etwas entgegenzusetzen. Die Erlebnispädagogik entwickelte sich im Kontext von Schule und deren Erziehungsauftrag und war eng mit der Auffassung von ganzheitlichem Lernen verknüpft. An den wichtigen historischen Vertretern aus Pädagogik und Philosophie lässt sich die erlebnispädagogische Geschichte skizzieren. Der Blick über Jahrtausende hinweg verdeutlicht einen roten Faden von der Erziehungslehre Platons, die von einer umfassenden Förderung der Jünglinge in einer gesunden Gegend ausgeht, hin zu den ganzheitlichen Erziehungsvorstellungen am jungen Menschen des Aristoteles bis zu Jean-Jacques Rousseau. Er gilt als Begründer des erlebnispädagogischen Gedankens. Weitere wichtige Vertreter und Vordenker sind Henry David Thoreau, Franz Pöggeler, und Kurt Hahn, der als Urvater der deutschen Erlebnispädagogik gilt. Es waren vornehmlich Jugendverbände, die seit 1945 in Deutschland mit ihren pädagogischen Ansprüchen und Inhalten auf Elemente der Erlebnistherapie zurückgriffen, meistens jedoch unbewusst und intuitiv.
Der zentrale Begriff bei allen erlebnispädagogischen Ansätzen ist das Erlebnis. „Erlebnisse sind Bewusstseinsvorgänge, in denen der Mensch tief innerlich und ganzheitlich von der Sinn- und Wertfülle eines Gegenstandes ergriffen wird.“ Wichtig ist dabei: Erlebnisse ergeben sich, im Gegensatz zu Ereignissen, nur aus der subjektiven und individuellen Ansicht des einzelnen Menschen. Einzelne Situationen werden erst zu Erlebnissen, wenn sie vom Betrachter als etwas Besonderes beziehungsweise Außeralltägliches wahrgenommen werden.
Dem Begriff Reformpädagogik werden verschiedene Ansätze zur Reform von Schule, Unterricht und allgemeiner Erziehung zugerechnet, die - oft zurückgehend auf Comenius, Rousseau und Pestalozzi - eine Pädagogik vom Kinde her vertreten. Eine zusammenfassende Definition des Begriffs ist damit nicht gegeben. Je nach Herkunft der Verfechter werden auch weitere Ansätze diesem Begriff zugerechnet und gleichzeitig von anderen Verfechtern explizit ausgegrenzt.
Zur älteren Reformpädagogik im weiteren Sinne zählen in diesem Sinne also bereits die sich auf Comenius, Rousseau, Pestalozzi und den Philanthropismus beziehenden reformpädagogischen Ansätze der Anschauungspädagogik und Erlebnispädagogik. Sie wendet sich nicht nur gegen den klassischen Schulbetrieb, sondern auch gegen den Herbartianismus, dem man vorwarf, Herbarts Forderungen nach „eigener Beweglichkeit“ der Schüler und die emotionale Bildung ursprünglicher Werturteile an ästhetischen Beispielen vernachlässigt zu haben. Daher sei von seinem Anliegen, über die Bildung des Intellekts den sittlichen Willen wecken zu wollen, nur noch ein starres Unterrichtsschema übriggeblieben.
Reformpädagogik im engeren Sinne meint jene Versuche, die sich Ende des 19. Jahrhunderts und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gegen die Lebensfremdheit und unterwerfenden Autoritarismus der vorherrschenden „Pauk- und Drillschule“ wandten. Anstelle einer Didaktik, die aus heutiger Sicht als Entfremdung bis zur Kindesmisshandlung im Bildungssystem zu werten ist, wollten die Reformpädagogen über eine veränderte Bildungstheorie und Lerntheorie zu einer veränderten Didaktik gelangen, die in einem handlungsorientierten Unterricht vor allem die Selbsttätigkeit der Schüler in den Mittelpunkt stellt. Reformpädagogische Ansätze nach 1945 werden häufig als Alternativpädagogik bezeichnet.
Nach 1945 konnten sich die Montessori-Pädagogik und die Waldorf-Pädagogik wieder etablieren. Neuere Ansätze aus dem nichtdeutschsprachigen Raum wie die demokratische Schule Summerhill wurden dagegen kaum aufgegriffen. Mit der 68er-Bewegung sowie der Außerparlamentarischen Opposition kam auch die Alternativpädagogik wieder stärker zur Geltung.
Insgesamt sind viele reformpädagogische Ideen tief in das staatliche Schulsystem vorgedrungen: Dies gilt für die Zusammenarbeit von Kindergarten und Schule, das frühe Sprachenlernen, den alters- und fachübergreifenden Unterricht, die Wochenplanarbeit, die Abschaffung des Sitzenbleibens und die Ganztagsschule.