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Wie noch nie. Neue Altersbilder am neuen Fluss

Zu einer demografiefesten Kommunikation des Emscher-Umbaus

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Die an Zahl und Bedeutung stetig wachsende Gruppe der älteren Menschen als bestimmender Faktor der demografischen Entwicklung kann zu einer wichtigen Zielgruppe der Kommunikationsprozesse und Projekte im Rahmen des Emscher-Umbaus werden. Dabei können Annäherungen an innovative, differenzierte und demografiefeste Altersbilder als Impulse für die zielgruppenorientierte Kommunikation wirken.

Altersbilder – Altersparadoxien

Vielerorts waren es Bürgerbewegungen, die für den Erhalt der heute maßgeblich zum neuen Renommee des Ruhrgebiets beitragenden Industriedenkmäler sorgen mussten. Das Leben als Baustelle, aber auch für oder gegen Baustellen ist hier seit langem ein Stück Normalität. Auch der Emscher-Umbau kann mit neugierigem Interesse, nicht aber mit Dauereuphorie rechnen. Hier könnten insbesondere ältere Menschen die Dialoge zwischen Bevölkerung, Bauplanung und Bau-Ausführung an der Emscher bereichern. Das mit dieser Gruppe verknüpfte Themenfeld von Alter und Demografie erfährt schon seit Jahren aufgrund seiner ubiquitären – medialen wie realen – Präsenz besondere Aufmerksamkeit. Inzwischen ist rund um dieses Thema nach ersten Aufgeregtheiten und allzu populären Emotionalisierungen zu Anfang des letzten Jahrzehnts eine breite, interdisziplinäre Debatte um Lebensqualität im Alter und die damit verbundenen Altersbilder entstanden, zumeist unter fachlicher Ägide der noch immer recht jungen Disziplin der Gerontologie.
Der 2010 veröffentlichte Sechste Altenbericht widmet sich ausführlich der Entstehung, der Formbarkeit, der Funktion, aber auch der Ambivalenz von Altersbildern. Deren „kulturelle Plastizität“ manifestiert sich in einer wechselseitigen Dependenz und Formkraft. Altersbilder werden kulturell geformt und sind somit stets Ergebnisse offener historischer Prozesse. Andererseits sind Altersbilder selbst „gleichsam Aktivposten: Altersbilder formen und fordern reale Alternsformen bis hin zu Institutionen der Alterssicherung und Pflege.“
Andreas Kruse, Vorsitzender der für den Sechsten Altenbericht verantwortlichen Expertenkommission, berichtet in seinem 2010 erschienenen Buch „Zukunft Altern“ von einer „sonderbaren Diskrepanz zwischen der kognitiven Laborforschung und der Alltagsrealität alternder Menschen“:
„Ältere leben zu 95% in Privathaushalten, und sie leben dort relativ sicher. Sie erledigen ihre alltäglichen Geschäfte wie Einkaufen, Medikamenteneinnahme und Bankangelegenheiten selbst mit über 85 Jahren noch mehrheitlich ohne Hilfe. Sie sorgen vor für Krankheit und Tod und engagieren sich verantwortlich für andere Menschen.“
Dieser Befund bringt den Gerontologen ins Grübeln:
„Und dies alles angesichts einer so deutlichen kognitiven Verlustgeschichte, wie dies die Altersforschung nun mit mehreren Jahrzehnten Forschungsaktivität herausgefunden hat?“
Kruses Schluss: „Hier lauert eine weitere Paradoxie einer alternden Gesellschaft: Ältere werden immer kompetenter, gleichzeitig jedoch steigen die Anforderungen so stark, dass diese Vorteile nicht voll zum Tragen kommen können.“
Diese These erscheint verlockend nachvollziehbar. Aber warum eigentlich? Vielleicht gerade deshalb, weil sie am Ende das uns allen geläufige Bild von den dem Tempo der Zeit nicht mehr gewachsenen Alten offeriert. Aber verstärkt sie somit nicht – in fraglos bester Absicht – die Mainstream-Prämisse vom Alter als Defizit und als Problem? In den benannten Friktionen zwischen dem Alterskino im Kopf, dem beobachteten Alltag und den Laborergebnissen steckt ein hohes Politisierungspotenzial und die Aufforderung, über die Standardanforderungen des multioptionalen, produktiven, erfolgreichen Alterns hinaus zu gehen.

Unsichtbares Alter – Wahrnehmung und Macht

Die Soziologin Irmhild Saake kam 2006 in ihrer systemtheoretisch inspirierten Einführung in die Alternsforschung mit dem Titel „Die Konstruktion des Alters“ zu einer ebenso lapidaren wie ernüchternden Erkenntnis: Die Gerontologie sei eine ambitionierte Veranstaltung jüngerer Menschen, die älteren Menschen helfen wollen. Gerade die Gruppe der im Namen älterer Menschen gegen Diskriminierung auftretenden Anwälte und Experten müssen also immer mit dem selbstkritischen Verdacht leben, dass ihre Klientel ihnen bislang unbekannt, ja für sie unsichtbar war – weil sie immer nur Defizitmerkmale, nicht aber die alten Menschen im Blick hatten.
Wahrnehmung und Kommunikation können, wenn es um Alter geht, auch anders gedacht und ausgerichtet werden. Saakes Aufforderung an ihren eigenen Berufsstand, „zu erforschen, was im Leben alter Menschen passiert, wenn sie gerade mal nicht den Rollenklischees des (hilfebedürftigen oder auch aktiven) alten Menschen entsprechen“, weist in eine interessante Richtung. Dies hat auch Konsequenzen für die vielbeschworene politische, gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe älterer Menschen. Welche Schlüsse können wir daraus ziehen, wenn wir wollen, dass ältere Menschen – z.B. im Emschertal – ganz selbstverständlich in Kommunikations- und Gestaltungsprozesse inkludiert sind? Was würde eigentlich passieren, wenn wir alte Menschen, wenn es um Kommunikation und Partizipation geht, überhaupt nicht als alte Menschen ansprächen?
Kommunikationsstrategien sind immer zugleich Machtstrategien. Der Alters-Diskurs bedient sich bestimmter kollektiver Bilder und Symbole, die jeweils unterschiedlichen Interessen dienen. Welche politischen und gesellschaftlichen Akteure, Medien, Institutionen und Märkte haben den Begriff des „Alters“ okkupiert, und wie nutzen sie ihn? Ist der Begriff womöglich ein Instrument zur Diskriminierung und Exklusion einer Bevölkerungsgruppe? Demonstriert am Ende die bloße Ansprache des Alters eines Gesprächspartners diesem immer schon: ‚Ich nehme dich nicht ernst?’ Oder, um hier eine sich in unserer Region aufdrängende Parallele ins Spiel zu bringen: Sehen die Agglomeration Ruhr und speziell das Emschertal und seine Bevölkerung tatsächlich so alt aus, wie sie regelmäßig angesprochen werden?

Alt sind die Anderen. Eine Zielgruppe auf der Flucht

Das Problem der Stigmatisierung haben auch Werbepsychologen und Marktforscher erkannt: Explizite Ansprachen von alten Menschen sind im wording von Werbemedienkonzepten eher verpönt. Vielmehr folgen sie der im Sechsten Altersbericht formulierten Überlegung „Es kommt gar nicht so sehr darauf an, ob Altersbilder empirisch zutreffend oder unzutreffend sind, wichtiger sind ihre soziale Funktion und ihre realen Wirkungen.“ Einer Altersgruppe, die sich grundsätzlich einige Jahre jünger fühlt als sie ist, kann man kaum die Wahrheit darüber zumuten, wie alt man sie tatsächlich einschätzt. In einer über Generationen von Verbrauchern „gereiften“ Konsum- und Mediengesellschaft kommt es so zu bizarren Komplizenschaften zwischen Werbern und Kunden. Im Trend liegt eine Art von verdeckter Prothetik:
„Was sich jetzt abspielt, ist beispiellos. Wer heute alt wird, hat nur in prosperierenden Zeiten gelebt. Entsprechend sind die eingeschliffenen Konsummuster. Die Leute fügen sich nicht in ihr Alter. Das hat es so noch nie gegeben. Sie haben ein Leben auf der Partymeile geführt, und sie sind die erste Generation, die auf der Partymeile auch durchhalten will. Das aber kollidiert mit dem körperlichen und geistigen Verschleiß, dem auch sie unterliegen. Daraus resultiert ein unbewusster Wunsch nach Hilfe, den man nicht laut äußern darf. Kein Senior möchte zugeben, dass er ein solches Produkt braucht, also darf auch kein Anbieter es entsprechend bewerben. Bei Senioren geht es um Angebote für einen Zustand, der von Kunden und Anbietern verleugnet wird“, so Heinz Grüne vom Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold in brand eins (04/2009). Grüne hat die „Verlogenheit“ hierin erkannt und macht sich zugleich recht erfolgreich zum Agenten der Unsichtbarkeit des Alters. Aber auch die kommunikative Strategie des einvernehmlichen Verschweigens bleibt eine Folge schablonenhafter Fixierungen auf die per se defizitäre Qualität des Alters.
Technikmärkte tun sich noch schwer mit der demografiefesten Kommunikation. Dabei werden bei Nutzertests zur Überprüfung der Akzeptanz von Produkten vor ihrer Markteinführung immer häufiger ältere Menschen eingesetzt. Gerade der anwachsende Kosmos elektronischer Produkte, der den Endverbraucher zugleich umschließt und vernetzt, setzt auf die Kompatibilität von Senilität und Usability als Maßstab. Für Mathias Knigge vom Hamburger Büro grauwert, einen der Protagonisten des Universal Design in Deutschland, gilt: „Optimale Lösungen sind nicht Lösungen für Alte, sondern für alle. Universal Design hat das Ziel, Produkte und Dienstleistungen zu schaffen, die so nutzerfreundlich sind, dass damit möglichst viele Menschen in möglichst vielen Situationen zurecht kommen – gleich welchen Alters. Universal Design verhindert Ausgrenzung und Stigmatisierung.“

Demografie als Katastrophenkulisse?

Dass die gute alte Bevölkerungspyramide aktuell die Form einer Urne angenommen hat, sollte nicht als demografisches Menetekel gewertet werden. Aber so wie das Alter individuell Angst machen kann, kann die Demografie kollektiv ängstigen. Dies hat sie seit der Jahrtausendwende immer wieder bewiesen; einem Zeitpunkt, an dem sich in Deutschland der Ton verschärfte. Plötzlich ging es, gut sechs Jahrzehnte nachdem NS-Bevölkerungswissenschaftler als „Vordenker der Vernichtung“ ihr Fachgebiet zu Grunde gerichtet hatten, wieder um „Bevölkerungspolitik“, und die Protagonisten sahen sich als mutige Tabubrecher. Ich verzichte darauf, die Details des damaligen Rauschens im Blätterwald – mit Headlines wie „Rettung für ein sterbendes Volk“, „Räume ohne Volk“ (Die Welt, 30.06. und 22.07.2001) oder Aussagen wie „Nach dem Mensch kommt der Wolf“ (im 2006 vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung herausgegebenen Buch „Die demografische Lage der Nation“) – hier ausführlich auszubreiten. Ich halte es aber für erforderlich, vor jeder Bewertung und Gewichtung demografischer Daten der Emscherregion und daraus abgeleiteter Zukunftsszenarien insbesondere zwei problematische Tendenzen zu benennen: erstens, planerische und politische Entscheidungen auf spekulative demografische Rechenmodelle – oder auch daraus resultierende Stimmungslagen – zu gründen; und zweitens, einseitige Altersbilder zu verstärken, um sie zur Statuierung bestimmter Verhaltensnormen zu instrumentalisieren.
Demgegenüber sei daran erinnert, dass demografische Daten nicht Ursachen, sondern Ergebnisse komplexer sozialer und gesellschaftlicher Prozesse sind. Investitionen in Bildung und Integration für die heute vorhandene Bevölkerung werden zweifellos auch für eine positive demografische Entwicklung sorgen. Einer offenen Gesellschaft sollte jeglicher Gedanke an einen anzustrebenden demografischen Idealzustand fremd sein. Grundsätzlich ist daher vor Studien, in denen die demografische Entwicklung als zentrale Analyse-, Bewertungs- und gar übergeordnete Zielkategorie inszeniert wird, zu warnen. Für den Emscherraum hochgradig problematisch können speziell solche Studien sein, die aus einer modischen Vorliebe für das Prinzip des Rankings, z.B. „Schulnoten“ an Städte und ganze Räume verteilt, um dann die Polarisierung dadurch auf die Spitze zu treiben, dass man für die Förderung der Erfolgreichen und den „schrittweisen Rückzug“ aus „marginalisierten städtischen Räumen“ optiert.
Demgegenüber steht der durch die Emschergenossenschaft geförderte, 2011 vom Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) erstellte Forschungsbericht Sozialraumanalyse Emscherregion in wohltuendem Gegensatz zu demografisierend ausgelegten Studien. Der Bericht stellt unter anderem explizit „die vielfach Städtegrenzen überschreitenden Muster kleinräumiger Unterschiede“ entlang der Emscher heraus. Ausdrücklich sieht der Bericht seine Ergebnisse als Grundlage für weiterführende, vertiefte Analysen einzelner Stadtgebiete, namentlich in Form einer Verstetigung des Stadtteilmonitorings in der Emscherregion. Was ihn besonders auszeichnet, sind die – aus dieser kleinteiligen Konkretheit und unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen Lebenslage und Sozialraum in Bezug auf die untersuchten Dimensionen Demografie, Sozialstruktur, Bildung und Gesundheit entwickelten – Handlungsempfehlungen, die vor allem auf die konsequente Fortsetzung von quartiersbezogenen Interventionen im Rahmen des Programms Soziale Stadt setzen.

Vitalität als Norm?

Die seit den 1980er Jahren zunächst in den USA entwickelten Konzepte des „erfolgreichen Alterns“ und später des „aktiven Alterns“ haben längst Einzug in nahezu alle Lebensbereiche gefunden. Niemand wird die Definition der WHO von 2002 in Frage stellen, die active ageing als einen Prozess der Optimierung von Möglichkeiten zur Erhaltung der Gesundheit versteht, als Prozess der sozialen Teilhabe und der Sicherheit mit dem Ziel, die Lebensqualität älterer Menschen zu fördern. Anreize, wie Bonuspunkte der Krankenkassen für präventives Wohlverhalten, mögen vernünftig klingen und sich auch nachhaltig ‚rechnen’. Dennoch beschleicht viele Menschen ein flaues, vielleicht sogar ungesundes Gefühl, wenn man sich der normativen Kraft der ungebrochenen Leistungsfähigkeit, dem prestigeträchtigen Konsum und dem Charme der Lebensfreude gar nicht mehr entziehen kann. Zunehmende Appelle an die „Eigenverantwortung“ machen nur die Gewinner, nicht die Verlierer glücklich. Aber das Alter ist eben kein Leistungssport. Und niemand, der das Gehirnjogging mal ausfallen lässt, ist deshalb später an seiner Demenz selber schuld. Der Journalist Lothar Müller hat das Problem auf den Punkt gebracht: „Die Propheten des neuen Alters lockern nicht nur die überkommene Verknüpfung von Alter und Gebrechlichkeit, sie etablieren zugleich die Vitalität als neue kulturelle Norm des Alters. Und nicht selten erreichen sie den Umschlagpunkt, an dem die Ermunterung der Vitalen sich als Entmutigung der Gebrechlichen entpuppt. (…) Die Anhänglichkeit an das Leben ist kein Privileg, das durch Vitalität erst zu verdienen wäre. Sie ist Mitgift des Lebens selbst, auch dann, wenn es in die Macht der Gebrechlichkeit geraten ist. Willkommen ist jede Einschränkung dieser Macht. Aber nur, wenn sie das Recht des gebrechlichen Lebens anerkennt.“ (du, April 2007)
Wie das eigene, auch soziale Wohlbefinden stress- und angstfrei zu bewerkstelligen wäre, ist vielleicht zu selten ein Thema – auch unter den Gesunden im Emschertal. Es ist fraglos üblicher, über die eigenen Krankheiten zu reden. So wie die Krise das Paradies der Ökonomen ist, so konstatierte Francesco Petrarca im 14. Jahrhundert in Richtung der Mediziner seiner Zeit, der Berufsstand der Ärzte habe „zwei Hauptgruppen von Feinden: die Toten und die Gesunden.“ Wer ausschließlich vom Sanierungsfall Emscherregion her denkt, von einem multimorbiden, ewigen Patienten, an dem schon viele Experten vergeblich ‚herumgedoktert’ haben, wird kaum eine breite, partizipative, bürgerschaftliche Bewegung für die Emscher-Zukunft in Gang setzen können.

Ansätze demografiefester Kommunikation in Stichworten

1. Eine explizite Ansprache des Alters sollte vermieden werden, keine explizite Ansprache als „Senioren“;
2. Betonung der Steigerung von Lebensqualität für alle Altersgruppen als Ziel des Emscherumbaus;
3. Form und Inhalt, Text und Bildsprache von Botschaften sollten die AdressatInnen aufwerten, Alters-Kompetenzen herausstellen und eine positive Selbstwahrnehmung verstärken;
4. Ansprache auf Augenhöhe, d.h. keine Stigmatisierungseffekte, Ausschluss der Helfer-Bedürftigen-Perspektive;
5. Vermeidung einer Atmosphäre seniorengerecht „geschönter“ Idylle und Künstlichkeit;
6. „Neues mit Alten wagen“, z.B. erste revolutionäre Ausbrüche aus dem ‚Kaffee- und-Kuchen-Dogma’;
7. Keine physisch-räumlichen oder medialen Senioren-Sonderbereiche oder -formate schaffen, Inklusion als Selbstverständlichkeit zeigen: Nicht Sondergruppen, -gremien und Sonderevents schaffen, sondern ältere Menschen in alle Gruppen und Angebote hineinbringen;
8. Die Vielfalt von Lebensstilen in allen Lebensphasen sichtbar und erlebbar machen;
9. Zeitgemäßes Foto-Design, keine „gestellten“ Motive, Ästhetik des Alltäglichen statt inszenierter Lebensfreude;
10. Ansprechpartner und (nicht stigmatisierende) Abhol-Strukturen schaffen;
11. Ganz selbstverständlich in vorhandene ‚Alten-Reservate’ hineingehen: Einrichtungen, Treffs usw.;
12. Die einzelnen BürgerInnen sollten Dokumentationen der von ihnen eingebrachten Ideen, Anregungen, Kritik etc. zu Gesicht bekommen, um sich selbst ernst genommen zu fühlen.

Auf der Basis dieser Prinzipien könnte es sich lohnen, in Anlehnung an den Ansatz der Salutogenese in der Medizin, einmal gezielt nach bisher unerkannten „Gesundheitssymptomen“ im Emschertal zu forschen. „Ansteckungsgefahr“ wäre in diesem Fall – ausdrücklich sogar Gengerationen übergreifend – erwünscht.

Autor: Klaus Vatter, Philosoph (M.A.), Mitinhaber einer Agentur für Werbung und Kommunikation mit den Arbeitsschwerpunkten Soziales, Wohnen, Bildung, Kultur und Gesundheit mit Sitz in Bottrop sowie Gründungsmitglied und Stellvertretender Vorsitzender des Emscher-Freunde e. V.

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Foto: F. L. Rick (CC)

Der Kampf ums Alter

Der seit Ende des 19. Jahrhunderts rasante Anstieg der Lebenserwartung gründet statistisch entscheidend auf der erfolgreichen Minimierung der Säuglings- und Kindersterblichkeit. Alte Menschen gab es, wenn auch in viel geringerer Zahl als heute, zu allen Zeiten. Über den individuellen und kollektiven Umgang mit dem Alter und dem Älter-Werden ist in allen Epochen und Kulturen nachgedacht worden. Bereits in der römischen Antike gab es einen Kampf gegen die Altersdiskriminierung: „Das Alter wird nur dann respektiert werden, wenn es um seine Rechte kämpft und sich seine Unabhängigkeit und Kontrolle über das eigene Leben bis zum letzten Atemzug bewahrt.“ Cicero (106 - 43 v. Chr.)


Foto: Fabio Venni (CC)

Mobilität und demografischer Wandel

Wie sich die bisherigen Maßnahmen des Emscher-Umbaus auf die Wohn- und Lebensqualität der Bewohner in den emschernahen Wohnquartieren auswirken, haben Studierende des Masterstudiengangs „Stadt- und Regionalentwicklungsmanagement“ an der Ruhr-Universität Bochum untersucht. Die zentralen Ergebnisse wurden in Form einer gemeinsamen Zeitung – dem EmscherExpress – veröffentlicht.


Emscher-Freunde e.V.

Die Emscher-Freunde wurden 2010 als zivilgesellschaftliche Initiative zur Förderung der Zukunftsfähigkeit der Emscher-Region gegründet. Im Mittelpunkt der Aktivitäten des Vereins steht die nachhaltige Unterstützung von Entwicklungs- und Vernetzungsprozessen im Emscherraum, die das vielerorts in Initiativen und Projekten vor Ort vorhandene und neu entstehende Zukunftspotenzial der Region orten, stärken und zusammenführen. Der Verein kann sich auf einen Kreis engagierter Promotoren, Mitinitiatoren und Berater stützen: Menschen und Organisationen, die sich durch das Einbringen von Ressourcen wie Wissen, Tatkraft, Mitteln, Beziehungskapital, Öffentlichkeit und Präsenz für die Initiative Emscher-Freunde verantwortlich erklären und nachhaltig einsetzen.
www.emscher-freunde.de


Alt und Jung unterwegs an der Emscher. © Emschergenossenschaft

Foto: D. Mike (CC)

Ambient Assisted Living (AAL)

AAL ist ein Milliarden schwer geförderter europäischer Innovationsschwerpunkt der Wirtschaft, und als Zukunftsmarkt in aller Experten Munde. Allerdings sucht man funktionierende, schon heute erfolgreiche Geschäftsmodelle (noch) vergeblich. Zwar sind die Entwickler fasziniert von ihren komplexen technischen Lösungen, die jede Wohnung zum komfortablen, unmerklich von Sensoren gesteuerten High-tech-Wunderwerk machen, das Demenz-Erkrankten und gehbehinderten alten Menschen das Wohnen zu Hause ermöglicht. Aber die Ingenieure und ihre Werbetexter reden eben sehr viel über altersbedingte Bewegungseinschränkungen, über chronische Erkrankungen, über Demenz – und präsentieren technische Erfindungen für Alte, denen sie helfen wollen. Erst spät hat man entdeckt, dass AAL-Produkte sich über ihr Design vermitteln und dass bunte, große Tasten aus einem lebenswichtigen Messgerät oder dem unverzichtbaren Telefon ein Spielzeug für Kleinkinder machen. Weniger infantilisierend und stigmatisierend wirkt hingegen ein flaches, poliertes tablet, dem man nur den Namen des gewünschten Gesprächspartners zu sagen braucht. Funktionales Design ist deshalb auch immer demografiefest.

Soziale Stadt

Das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt ist ein Teilprogramm der Städtebauförderung und hat mit seinem Vorgängerprogramm ‚Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf‘ seine Wurzeln in Nordrhein-Westfalen. Hier hat sich der Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft besonders früh und deutlich gezeigt: Arbeitsplätze im Kohle und Stahl verarbeitenden Sektor fielen weg, viele Menschen – oft mit Zuwanderungshintergrund – wurden arbeitslos. Die daraus resultierenden Probleme zeigten und zeigen sich häufig in den ärmeren Stadtteilen der Ballungszentren, die oftmals baulich in einem vergleichsweise schlechten Zustand waren oder noch sind und nicht mehr den Anforderungen des heutigen Wohnens und Arbeitens entsprechen. Um dieser baulichen und sozialstrukturellen Problemlagen Herr werden zu können, wurde klar, dass es komplexer, ‚integrierter‘ Lösungsansätze bedarf, die in besonderer Weise vorhandene Förderinstrumente von Land, Bund und EU räumlich bündeln. Damit soll das Umfeld für private Investitionen in Gebäude und Wohnungen verbessert und möglichst nachhaltige Entwicklungen angestoßen werden. Als Antwort auf diese Entwicklungen schenkt das Programm Soziale Stadt NRW seit 1993 gerade Quartieren in den Städten besondere Aufmerksamkeit, die von Strukturwandel und sozioökonomischen Veränderungsprozessen stark betroffen sind. Leitidee ist es, vorhandene Kräfte zu mobilisieren, um positive Veränderungsprozesse anzustoßen. Ziel ist es, in den Quartieren stabilisierende Entwicklungen und selbsttragende Prozesse in Gang zu bringen: Es muss gelingen, dass die Bewohner dieser Gebiete Teil der städtischen Gemeinschaft bleiben und die Stadtteile von sich heraus als Wohn-, Arbeits- und Lebensraum attraktiv und lebenswert bleiben.
www.sozialestadt.de

Schwerpunkt "Alter und Demografie" der Robert Bosch Stiftung

Um einen realistischen Blick auf die Themen des Alters geht es der Robert Bosch Stiftung mit ihrem Schwerpunkt "Alter und Demografie". Unter anderem erschien 2009 die von der Stiftung und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Studie "Altersbilder in anderen Kulturen" des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg. In ihr geht es um kulturelle Unterschiede im Hinblick auf die Deutung des Alters und den Umgang mit Fragen des Alterns. Wie wird in anderen Ländern die Lebensphase "Alter" wahrgenommen? Mit welchen Stärken und Grenzen wird "Alter" in anderen Ländern assoziiert? Welche politischen Konzepte zur Stärkung der Mitverantwortung älterer Menschen für die Gesamtgesellschaft sind in anderen Ländern erkennbar? Die Studie ist nach den Veröffentlichungen "Altersbilder von Journalisten" und "Demografieorientierte Personalpolitik in der öffentlichen Verwaltung" bereits die dritte Schrift in der Reihe "Alter und Demografie".
www.bosch-stiftung.de

Älteres Paar, aufgenommen in Paris. Foto: I. Tokaris (CC)

Wissenswertes


Foto: R. Edzonk (CC)

Universal Design

Universal Design is the design of products and environments to be usable by all people, to the greatest extent possible, without the need for adaptation or specialized design. (Ronald L. Mace, 1988)
Der Begriff Universal Design geht auf den US-amerikanischen Architekten Ronald L. Mace zurück, der ihn Mitte der 1980er Jahre zum ersten Mal verwendet hat. Universal Design meint weder Standardisierung noch kulturelle Uniformität. Dem Konzept des Universal Design liegt vielmehr ein sozialer, d. h. ein am Menschen orientierter Gestaltungsansatz zugrunde: Die gesamte von Menschen für Menschen gestaltete Umwelt soll für möglichst viele zugänglich und nutzbar gemacht werden. Ungeachtet ihrer individuellen Fähigkeiten, ihres Alters und Geschlechts oder ihres kulturellen Hintergrunds soll allen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden. Stigmatisierung durch eine Gestaltung, die Menschen von der Inanspruchnahme und Nutzung bestimmter Dienstleistungen, Räume und Produkte ausschließt, soll von vornherein vermieden werden.
Das Thema Universal Design erfährt im internationalen Forschungs-, Design- und Wirtschaftskontext gegenwärtig eine wachsende Bedeutung aufgrund des demografischen Wandels. Die zunehmende Alterung der Bevöl- kerung stellt neue Anforderungen an die Umweltgestaltung in allen Bereichen - von der Planung und Gestaltung von Gebäuden und Infrastrukturen, über das Design von Produkten, Informations- und Kommunikationssystemen, bis hin zur Konzeption von Dienstleistungs- und Serviceangeboten. Ältere Menschen gelten längst als eine aus unternehmerischer Sicht wichtige Kundengruppe und nicht als eine marginale gesellschaftliche Gruppe mit speziellen Bedürfnissen. In Marketingstudien sind an die Stelle negativ besetzter Begriffe wie Alte oder Senioren Bezeichnungen wie Generation Gold, Silver Ager, Generation Plus bzw. 50 Plus, Woopies (well off older people) usw. getreten. Die Bedürfnisse älterer Konsumenten zu kennen und sie bei der Entwicklung und Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen zu berücksichtigen, verspricht Wettbewerbsvorteile und Markterfolge und ist daher zu einem mittlerweile wichtigen Anliegen geworden. Hinzu kommt, dass Studien und Tests, wie die von dem Londoner Forschungsinstitut Ricability durchgeführten, belegen, dass Produkte, die im Hinblick auf die Bedürfnisse der älteren Generation entwickelt wurden, aufgrund der höheren Benutzerfreundlichkeit und der verbesserten Handhabung durchaus generationsübergreifend attraktiv sind und von allen Altersgruppen geschätzt werden. Eine wichtige Voraussetzung ist jedoch, dass sie nicht so aussehen dürfen, als seien sie "für Alte" gemacht, d.h. sie dürfen nicht diskriminierend wirken.

Salutogenese

Die historischen Erfolge des auf Pathogenese ausgerichteten Krankheitsmodells der modernen Medizin sind schwer zu bestreiten. Was aber dem Begründer der Salutogenese, dem israelisch-amerikanischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky zu kurz kam, war die Erforschung der Ursachen von Gesundheit. Ihn hatte eine Studie zum psychischen wie körperlichen Gesundheitszustand von Frauen überrascht, die im Alter von 16 und 25 Jahren in NS-Konzentrationslagern unvorstellbarem Leid und traumatischen Erfahrungen ausgesetzt gewesen waren – und dennoch zu fast einem Drittel in ihren späteren Lebensabschnitten gesund waren. Andererseits sah er, dass trotz aller modernen Fortschritte bei der Diagnose und Therapie von Krankheitssymptomen große Teile der Bevölkerung in den Industrieländern krank waren. Salutogenese beschäftigt sich daher – in einer Zeit, in der „das Leben mit Krankheiten“ einen Normalfall bezeichnet – mit den Ursachen und Ressourcen von Gesundheit. Bei deren Förderung und Kultivierung geht es um Faktoren wie unterstützende soziale Netzwerke, Stressreduzierung durch Vermeidung von Selbstüberforderungen, die Entdeckung eigener Stärken mit der Folge einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung als Motivationsfaktor, oder schlicht ein starkes Kohärenzgefühl, einen stabilen Willen zum Sinn: „Wer ein Wozu zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ (Friedrich Nietzsche)


Foto: Will Ma (CC)

Literatur:

Der ZEFIR-Forschungsbericht "Sozialraumanalyse Emscherregion" ist zu finden unter ruhr-uni-bochum.de/zefir.


Kruse, Andreas: Zukunft Altern: Individuelle und gesellschaftliche Weichenstellungen. Heidelberg, 2010


Saake, Irmhild: Die Konstruktion des Alters: Eine gesellschafts-
theoretische Einführung in die Alternsforschung. Wiesbaden, 2006


Karl Otto Hondrich: Weniger sind mehr. Warum der Geburtenrückgang ein Glücksfall für unsere Gesellschaft ist. Frankfurt, 2007


Theo W. Länge/Barbara Menke (Hg.): Generation 40plus : Demografischer Wandel und Anforderungen an die Arbeitswelt. Bielefeld, 2007


Franz-Xaver Kaufmann: Bevölkerungsrückgang als Problemgenerator für alternde Gesellschaften. In: WSI-Mitteilungen 2007, H. 03, S. 107-114


International Migration Outlook: SOPEMI 2007 Edition. Organisation for Economic Co-Operation and Development, 2007, zu finden unter www.oecd.org.
Die jährlich erscheinende OECD-Publikation analysiert die Trends im Bereich der Migrationsbewegungen und der Migrationspolitik in den OECD-Ländern. Die vorliegende Ausgabe ist in vier Kapitel unterteilt. Teil IV enthält Länderbeiträge mit einheitlichen Tabellen zur Beschreibung der jüngsten Entwicklungen im Bereich der Migrationsströme und -politiken in den OECD- Mitgliedstaaten und einigen Nichtmitgliedstaaten. In Bezug auf die Situation in Deutschland wird festgestellt, dass es neben Japan und Italien das einzige Industrieland sei, in dem bereits jetzt die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15- bis 64-Jährige) schrumpfe. Wenn dieser Trend anhalte, sinke die Zahl der Erwerbsfähigen bis 2020 um gut sechs Prozent. Deutschland müsse daher sowohl an Zuwanderung als auch an einer besseren Integration der Zugewanderten interessiert sein.


BMVBS (Hrsg.): Stadtquartiere für Jung und Alt. Bilanz zum ExWoSt-Forschungsfeld „Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere“, 2010, zu finden unter www.bmvbs.de.
Stadtquartiere so zu gestalten, dass sie für Jung und Alt gleichermaßen attraktiv sind, ist angesichts einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung eine wesentliche Aufgabe der Stadtentwicklung. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat deshalb in 27 Modellvorhaben des Forschungsfeldes “Innovationen für familiengerechte Stadtquartiere” erprobt, wie das Zusammenleben der Generationen gelingen kann. Die Broschüre zieht nun eine Bilanz des Forschungsvorhabens. Checklisten zu Fragen der Quartiersgestaltung, Interviews mit Beteiligten aus Wissenschaft und Praxis sowie Hintergrundbeiträge geben zahlreiche Anregungen für alle, die sich mit Fragen der Stadt- und Quartiersentwicklung beschäftigen.


Foto: V. Erbeel (CC)