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Gefühlsräume, Raumgefühle

Über die Wirkung von Räumen, Orten, Landschaften und Natur. Ein Beitrag von Prof.Dr. Gertrud Lehnert.

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Man betritt ein Haus und weiß: Das ist es, hier möchte ich bleiben. In anderen Häusern spürt man sofort: Hier herrscht keine gute Aura, hier mag man keine Minute länger als nötig verweilen. Die einen gehen am Meer spazieren und atmen in der Weite auf, fühlen sich dagegen im Gebirge eingeengt, gar bedroht. Den anderen geht es genau umgekehrt. Wie kann erklärt werden, dass Orte ihre Stimmungen auf Menschen übertragen können?

Atmosphärische und emotionale Wirkungen

Es ist nicht nur das Auge, das von der Umgebung – von Raum – angezogen und abgestoßen wird, weil es Schön oder Hässliches sieht. Natürlich spielt es eine wesentliche Rolle, sind doch die meisten Orte, in denen wir uns täglich bewegen – Gebäude, Straßen, Gärten, Landschaften – ästhetisch so gestaltet worden, dass sie bestimmte Reaktionen auslösen, positive wie negative. Design könnte gar nicht funktionieren, ohne dass die Objekte mit Gefühlswerten ausgestattet werden, auf die Menschen reagieren. Warenhäuser, Theater, Museen, Kirchen: sie alle werden gebaut, um die Besuchenden in eine Stimmung zu versetzen, die sie aufnahmebereit macht: für den Kauf, für die Performance, für den Kunstgenuss, für den Gottesdienst. Und die Gartenkunst, so Maria Auböck in ihrer Thematisierung der „Vitalen Materie“, bringe Orte von poetischer Kraft hervor, „raffinierte Erfindungen im Grünen“. Kulturelle Traditionen, das Talent der Kreativen und der persönliche Geschmack der Betrachtenden spielen also eine wichtige Rolle in unseren Reaktionen auf Räume, nicht zuletzt auch das Wissen um die Geschichte von Orten und die Fähigkeit, sie und ihre Bedeutungen und Absichten zu „lesen“. Aber es gibt ein „Mehr“, das in diesen vorwiegend kognitiven Vorgängen nicht erfasst wird, ein Mehr, das mit dem zu tun hat, was uns widerfahren kann in der Begegnung mit Dingen und Räumen. Denn nicht nur interagieren wir mit dem Raum und mit Orten: Sie interagieren auch mit uns. Orte besitzen Eigenschaften – ganz gleich ob gebaute Architekturen, Parks und Gärten oder Natur pur (wo es sie noch gibt). Sie haben bestimmte Maße, die man als menschlich oder unmenschlich empfindet, sie speichern Vergangenheit, sie entfalten Stimmungen, sie strahlen etwas aus, was nicht allein mit Design erklärt werden kann. Das nehmen wir wahr, und zwar mit allen Sinnen, auch solchen, die wir vielleicht nicht bewusst zur Kenntnis nehmen. Es liegt also etwas in den Räumen selbst. Anderes fügen Menschen hinzu durch gestaltende Veränderung, durch den konkreten Gebrauch, den sie von den Orten machen, und nicht zuletzt durch Zuschreibungen, die sie vornehmen. Am Ende lässt sich oft nicht mehr unterscheiden, von welchem dieser Faktoren die atmosphärische und emotionale Wirkung eines Ortes, eines Raumes, rührt.

Raum

Was aber ist überhaupt mit der Rede vom Raum gemeint? Unser alltäglicher Sprachgebrauch ist uneindeutig. Meist subsumiert man eine Vielzahl von räumlichen Gegebenheiten unter diesen Begriff. Lange galt Raum als Container, der unabhängig vom menschlichen Handeln existiert. Seit den wissenschaftlichen Paradigmenwechseln um 1900 (Stichwort: Relativitätstheorie) ist Raum dynamisiert worden. „Raum“ kann zunächst verstanden werden als eine diffuse Umgebungsqualität, die nur meint, dass wir nicht im Nichts existieren, oder als „begriffliche Abstraktion“, wie die Soziologin Martina Löw sagt. Henri Lefebvre spricht vom „physische[n> Naturraum“, einem Ursprung gleichsam, aus dem Kulturen ihre je spezifischen Räume konstruieren. Da wir freilich durch unsere immer schon kulturell gefärbte Linse keine präkulturelle Natur, keinen absoluten Ursprung wahrnehmen können, ist „Naturraum“ eine Metapher, eine Setzung für etwas nicht begrifflich Erfassbares. Zum Raum im engeren Sinne wird diese Umgebung dadurch, dass Menschen sich bewegen, sich als Körper platzieren, dass sie andere Körper (lebende oder unbelebte) wahrnehmen, sich in Beziehung zu ihnen setzen und schließlich aus diesem Zusammenspiel ständig neue Bedeutungen konstruieren. Raum ist mithin ein dynamisches Konstrukt, das im Zusammenspiel von Menschen, Wahrnehmung, Objekten, Bewegung entsteht und eng mit Gefühlen verbunden ist. Raum und Gefühl gemeinsam ist die Bewegung: In der Emotion steckt “movere“, bewegen, und tatsächlich bewegen Gefühle uns, und sie bewegen sich, indem sie sich ständig ändern. Damit kommt auch die Zeit ins Spiel, denn Bewegung – sei es der Gefühle, sei es der Lebewesen oder der Dinge – geschieht in der Zeit.

Orte, Landschaft, Natur

Im Raum schaffen Menschen Orte und Territorien, die materiell lokalisierbar, konturiert und wenigstens für eine gewisse Zeit stabil sind: Ein Haus, ein Garten, eine Landschaft, ein Wald. Sie sind materiell und im Wesentlichen von Menschen gestaltet. Es sind die Orte, in denen wir leben und uns orientieren können. Marc Augé spricht von „anthropologischen Orten“: sie verwurzeln, geben Stabilität und grenzen das Eigene gegenüber dem Anderen ab. Orte wandeln sich mit der Zeit, wie ersichtlich wird beispielsweise am Verhältnis von Stadt und Land / Natur. Verhielten sie sich bis ins 18. Jahrhundert hinein im Wesentlichen komplementär zueinander, so ändert sich das radikal mit der Industrialisierung, die die Natur aus der Stadt drängt und sie als künstlichen Park, als künstlich geschaffene „grüne Lunge“, mühsam und kontrolliert wieder hereinholt, dabei aber kein ausgewogenes Verhältnis mehr herstellen kann. Mittlerweile werden viele Ansätze zur Renaturierung unternommen, die mit Mitteln des aktuellen und oft sehr überraschenden Designs Stadt und Natur zu verbinden suchen. Sie hören natürlich nie auf, Design, also Gestaltung, zu bleiben. Denn Landschaft existiert als „Landschaft“ nur aufgrund des gliedernden und gestaltenden menschlichen Blicks und ist immer schon ein natur-kulturelles Mischgebilde, zusammengesetzt aus unterschiedlichsten Elementen (sozialen, politischen, ökonomischen, ästhetischen, philosophischen, territorialen, geographischen ...).
Georg Simmel schreibt bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Aufsatz über „Die Alpen“,, „alles Geformte ist als solches ein Begrenztes“. Es ist immer auf bestimmte Weise geordnet und auf die erwünschte Wirkung hin bedacht gestaltet. Simmel versucht eine Unterscheidung zu begründen, die die Ästhetik immer wieder beschäftigt: die zwischen Natur und Kunst und beider emotionalisierende Wirkung auf Menschen. Simmels Beispiel sind die Alpen, die seit dem 18. Jahrhundert als überwältigendes, „erhabenes“ Naturphänomen erlebt wurden. Ohne menschlichen Einfluss entstanden, wirken die Alpen – so Simmel – aufgrund ihrer schieren Masse, Größe und Ungeordnetheit als Symbole des Transzendenten und lassen uns gleichzeitig „das Irdische als solches in seiner ungeheuren Wucht“ fühlen, „das noch ganz fern von allem Leben und Eigenbedeutung der Form ist“. Das sind wahrlich starke Gefühle! Demgegenüber ist der Großteil der Natur, die wir in der westlichen Welt erleben, immer schon domestizierte und gestaltete Natur – Landschaft. Die, nimmt man Simmel und die Ästhetiker des 18. Jahrhunderts ernst, folglich nie als erhaben erlebt werden kann.

Erlebnisräume

Unsere Reaktionen auf Orte spielen mithin in einem unaufhörlichen Ineinander und Gegeneinander von dem, was sie in ihrer realen Existenz von sich aus als Aura oder Atmosphäre entfalten, von dem, was gestalterisch in sie hineingelegt wurde, und schließlich dem, was wir als Erlebende einerseits wahrnehmen, andererseits auch u.U. in sie hineinlegen. Das bedeutet auch, dass wir Orte, so klar definiert sie sein mögen, im Gebrauch verändern und ihnen andere Bedeutungen beimessen, ja sie für Momente zu etwas ganz anderem machen können. Das Theater ist Paradigma dieser Erfahrung: ein Bühnenraum wird zu einem ganz anderen Ort durch Dekoration, Aufführung und die Stimmung der Zuschauenden. Aber auch eine Fabrikhalle kann zum Theater oder zu einem phantastischen Garten umdekoriert werden, in dem eine Modenschau stattfindet, die sich wie ein Märchen ausnimmt und alle Zuschauenden verzaubert. Das wäre eine kurzfristige materielle Veränderung des Ortes. Er kann auch zur Bühne werden ausschließlich aufgrund der Art und Weise, wie die Menschen sich darin verhalten, sich „inszenieren“. Auf beide Arten fügen Menschen den Orten etwas hinzu, nutzen und steigern die Atmosphäre des Ortes oder widersprechen ihr und machen ihn kurzfristig zu etwas anderem.

Gefühl und Körper

Vermittelt werden Raum, Atmosphäre und Gefühl – unsere und die der Objekte – über den Körper. Die Entwicklungspsychologie erklärt, räumliches Denken bilde sich durch den sinnlichen Kontakt mit der Welt und werde mit Vorstellungen und Zuschreibungen versehen. Der Phänomenologe Hermann Schmitz vertritt radikaler die Auffassung, die Strukturen des Raums „entsprechen den leiblichen oder ergeben sich gar aus diesen“. Deswegen lasse sich Räumlichkeit als Eigenart des Raumes auf Leiblichkeit zurückführen. Nur in leiblicher Anwesenheit könne man beispielsweise Weite und Enge spüren; das Ausmessen des Raums sei eine völlig andere, rationale Tätigkeit des Verstandes. Raum ist mithin nur erfassbar, wenn man ihn in seiner Verwobenheit mit Körper und Gefühl betrachtet. Oder anders gesagt: Raum und Gefühl finden ihre Schnittstelle im Körper. Betrachtet man den Körper nicht als ein manipulierbares Instrument, das uns zur Verfügung steht, sondern als den Leib, der wir als ganzheitliche Wesen sind, vermittelt sich Welt immer leiblich, und Gefühle sind nie nur ein psychisches, sondern immer ein umfassendes, auch körperliches Erleben. Während in der Kulturwissenschaft die Begriffe „Gefühl“ und „Emotion“ oft synonym verwendet werden, unterscheidet die Neurologie zwischen beiden. Der Neurologe Antonio Damasio erläutert, Emotion sei ein reaktives, im Körperlichen verwurzeltes Geschehen. Gefühle übersetzen diese Emotionen „in die Sprache des Geistes“. Emotionen zeigen sich folglich unmittelbar und unwillkürlich in Körpersprache, Mimik etc., während man lernen kann, das Gefühl nicht zu zeigen. Auch die Neurologie verwurzelt Gefühl bzw. Emotion im Körper. Gefühle, schreibt der Philosoph Hermann Schmitz, „sind räumlich ortlos ergossene, leiblich ergreifende Atmosphären, vergleichbar dem Wetter und der reißenden Schwere, wenn man ausgeglitten ist und entweder schon stürzt oder sich gerade noch fängt: also solchen in den spürbaren Leib eingreifenden Mächten, die nicht selbst leibliche Regungen sind, aber nur am eigenen Leib ... gespürt werden.“ Schmitz greift zurück auf die in letzter Zeit zunehmend wieder Bedeutung gewinnende antike Vorstellung, dass Gefühle nichts dem Menschen ganz innerlich Eigenes und Individuelles seien, sondern dass sie außer ihm existieren, ihm begegnen und gleichsam Besitz von ihm ergreifen. Der Pfeil des Amor, der Menschen trifft und zu Liebenden macht, ist die bekannteste Metapher dafür.

Uns begegnende Gefühle

Warum sollten uns nicht Räume ergreifen können mit ihren Stimmungen, Geschichten, Ästhetiken? Mit ihrer Weite, ihrer Enge, ihrer Begrenztheit, ihrer Offenheit, ihrer Vielfalt oder Ödnis? Ganz gleich, ob sie intentional so geschaffen wurden oder ob sie einfach sind, wie sie sind. Das Konzept der uns „begegnenden“ Gefühle muss man nicht bis ins Letzte wörtlich nehmen, sondern kann es auch als Metapher dafür verstehen, dass Gefühle nichts sind, was uns ganz persönlich zu eigen wäre, sondern dass sie vielen gemeinsam sind und auch im Außen existieren (nicht zuletzt steckt darin auch die Erkenntnis, dass wir Gefühle erlernen und sie schon allein deshalb nie unser Ureigenstes sind). Die Metapher macht nachvollziehbarer, wie die Interaktion von Dingen und Menschen zustande kommen kann, ohne dass es dabei nur um Projektionen menschlicher Gefühle auf die Dinge der Welt ginge. Und dass Gefühle anstecken können. Das „pathos“ der antiken Rhetorik versuchte genau das durch rhetorische Mittel bei den Zuhörern zu erreichen. Man kann das hervorragend auf das Verhältnis von Raum, Dingen und Menschen übertragen. Als Rhetorik der Orte könnten Architektur, Landschaftsgestaltung und so weiter verstanden werden. Orte können damit ebenso ihre Stimmungen auf Menschen übertragen wie eine Rede oder eine Predigt. Es macht einen Unterschied, ob man in einem englischen Garten oder in einem klassischen französischen Park wandelt oder ob man in einer ehemaligen Industrielandschaft spazierengeht, die re-naturiert wurde. Letztere hat eine völlig andere Geschichte als ein alter Park, die nicht zu leugnen ist und auch gar nicht geleugnet werden soll. Hier treffen eine von Menschen gezielt eingesetzte und hundertfach veränderte Natur, Bauwerke und viele, viele Schichten von Geschichte aufeinander. Die Natur verselbständigt sich im Laufe der Zeit, übernimmt Teile des Areals, wird von Menschen erneut gestutzt und gepflegt ... Das Ergebnis ist mehr als die Summe seiner Teile; und die Wirkung des Ganzen auf die menschlichen Gefühle ist ebenso komplex und ebenso dicht verwoben wie die Teile und das Ganze.

Prof. Dr. Gertrud Lehnert lehrt am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft. Arbeitsschwerpunkte: Kulturelle Visualisierungs- und Inszenierungsprozesse, Modegeschichte und –theorie, Räume und Emotionen, Gender Studies, Lyrik/Lyrikerinnen seit der Renaissance.

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"Plattenbau-Graffiti" - Foto: Prokura (CC) & "feelin" - Foto: Robert Lender (CC)

Lebendige Gärten

Die Gartenarchitektin Gabriella Pape hat ein Lesebuch rund um die Gartengestaltung und Gartenkultur geschrieben, in dem sie biografische Einblicke aus ihrer Kinder- und Jugendzeit gewährt, beispielsweise wie ein Nachbar sie in die Geheimnisse des Gärtnerns eingeweihte, oder von ihrer Ausbildung in einer Baumschule. Außerdem stellt sie technische und ästhetische Überlegungen an, beispielsweise über die Vermessung von Gärten oder über Farbenspiele. „Natur und Landschaft im Großen und im Kleinen berauschen uns vor allem durch ihre feinstofflichen, für das menschliche Auge nicht sichtbaren Schwingungen. So gilt es für mich, genau diese Energie zu erspüren und in meiner Gestaltung aufzunehmen“ Gabriella Pape: Meine Philosophie lebendiger Gärten. München: Irisiana Verlag 2010: 22.

Vitale Materie

Vom 26.11.10 bis 27.02.11 fand im Künstlerhaus Wien die Ausstellung „(re)designing nature. Aktuelle Positionen der Naturgestaltung in der bildenden Kunst und Landschaftsarchitektur“ statt, initiiert von der Landschaftsarchitektin Maria Auböck. Die Ausstellung stellte über 30 internationale Projekte zum Planen mit der Natur vor und zeigte, dass es viele verbindende konzeptuelle Elemente und inhaltliche Schwerpunkte zwischen Kunst und Landschaftsarchitektur gibt. Siehe: Susanne Witzgall/Florian Matzner u.a. (Hgg.): [re> designing nature. Aktuelle Positionen der Naturgestaltung in Kunst und Landschaftsarchitektur. Ostfildern: Hatje Cantz 2011.


Japanischer Garten. Foto: Dave King (CC)

Grüne Lunge

Pro Minute verschwindet rund um den Globus eine Waldfläche in der Größe von 35 Fußballfeldern. Den Wäldern Deutschlands geht es vergleichsweise gut, doch vor allem die tropischen Regenwälder in Lateinamerika sind in Gefahr. Deshalb haben die Vereinten Nationen 2011 zum „Internationalen Jahr der Wälder“ erklärt. www.waldkulturerbe.de

Die Produktion des Raums

Der französische Soziologe Henri Levèbvre machte deutlich, dass Raum in sozialen Prozessen erzeugt wird. Im Gegensatz zu anderer Materie ist der Raum jedoch gleichzeitig materielles Objekt und Medium, in dem andere Waren und gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen werden. Raum reproduziert und modifiziert die gesellschaftlichen Voraussetzungen seiner eigenen Produktion und ist deshalb auch als mehr-dimensionaler Bezugspunkt sozialer Kämpfe zu begreifen: "Die Stadt und der urbane Bereich sind der Ort und zugleich der Gegenstand dieser Kämpfe". Henri Lefebvre: „Die Produktion des Raums“ (1974). In: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hg. Jörg Dünne und Stephan Günzel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006.


"8-14" Foto: K. Jonas (CC)

Romantische Gartenlandschaft. Foto: Tony Hammond (CC)

Romantische Landschaft

In ihrem Plädoyer für eine erneute Hinwendung zu alten Gestaltungsprinzipien der Stadt- und Landschaftsentwicklung zeigen Olaf Kühne und Ulrich Franke Gestaltungsprinzipien auf, in denen naturräumliche Gliederungsmerkmale und die Geländedynamik besondere Bedeutung erlangen. Als „romantisch“ wird diese Ausrichtung der Landschaftsgestaltung an den naturräumlichen Begebenheiten charakterisiert, weil sie sich den modernen Funktionalitäten verweigert und statt dessen Werte wie Poportion und Harmonie in den Mittelpunkt stellt. Siehe dazu: Olaf Kühne/Ulrich Franke: Romantische Landschaft. Impulse zur Wiederentdeckung der Romantik in der Landschafts- und Siedlungsgestaltung in der norddeutschen Kulturlandschaft. Ein Plädoyer.Ink_Landschaft – Heft 4, Schwerin: Oceano 2010 (2. Auflage).

Neurologie der Gefühle

Seit Mitte der 1990er Jahre können Wissenschaftler mit der Entwicklung der Bild gebenden Methoden der neurobiologischen Forschung die dynamischen Prozesse im Gehirn eines gesunden, lebenden Menschen bildlich erfassen und ihm sozusagen beim Denken zusehen. Sie können ab-bilden, dass Verstand und Gefühl untrennbar miteinander verwoben sind, dass Gefühle in das Denken eingebunden sind. Die Dualität von Verstand und Gefühl, von ratio und emotio, wird dahin gehend relativiert, dass gefragt wird, welches Gefühl die Bedingung der Möglichkeit der jeweiligen rationalen Entscheidung ist und diese fördert. Vgl. Antonio R. Damasio: Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. Aus dem Englischen von Hainer Kober, Berlin: List 2005.

Guerilla Gardening. Artwork: Elisandra (CC)

Wissenswertes


Herbstwald. Foto: Christoph Rupprecht (CC)

Der Deutsche Wald

Es gibt eine international wahrgenommene, besondere Verbindung des Deutschen mit seinem Wald. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurde er zur romantisch überhöhten Metapher des natürlichen Raums im Gegensatz zum aufkommenden urbanen und industrialisierten Raum. Seine Stellung als wichtigster deutscher „Kulturraum“ wurde durch die Gründung zahlreicher Wandervereine, den Naturtourismus und letztlich auch die Naturschutzbewegung untermauert. Das moderne Erbe findet sich in Phänomenen wie „Baumbeerdigungen“, Waldkindergärten oder „le Waldsterben“ (dem französischen Begriff einer deutschen Gemütskrankheit). Aber auch die Umweltpädagogik, wie sie die Emschergenossenschaft beispielweise in flussbezogenen Projekten wie den „EmscherKids“ fördert, findet hier ihre Wurzeln.

Architektur

In der griechischen Wortbedeutung bezeichnet Architektur den „obersten Baumeister“. Die Definition von Architektur veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte, bezeichnet aber immer ein Betätigungsfeld in der Gestaltung von Raum. Es liegt im Spannungsfeld von Kunst, Technik und Wissenschaft und umfasst das menschliche Bestreben, planend und bauend in seinen Lebensraum einzugreifen. In der Abgrenzung zum bloßen Bauen, versucht die Architektur ästhetische Gestaltung mit Funktion zu verbinden. Die Auswirkungen verfehlter und „seelenloser“ Architektur und Stadtplanung lässt sich noch heute an den Bausünden des 20. Jahrhunderts in den Städten ablesen. „Das zentrale Problem der Architektur ist der Raum, der den Menschen an Leib und Seele gesund erhält.“ (Justus Dahinden: Architektur - Architecture. Stuttgart 1986).

Flaneur

Die Figur des Flaneurs („Spaziergängers“) umschreibt als literarischer Archetypus den modernen Großstadtmenschen, der im urbanen Raum ziellos umherschweift, schaut und genießt. Sein früheres Ebenbild war der Wanderer im Naturraum. Als Konzept bekam der Flaneur Bedeutung für Architektur und Stadtplanung, die einem rein funktionalen Denken in der Industrialisierung entgegenwirkte. Der Begriff verselbstständigte sich und bezeichnet die Geisteshaltung bzw. Lebenseinstellung, „einfach nur im Raum zu sein“. Er fasst damit die diffusen Aspekte, emotionaler und psychologischer Wirkung von Architektur und Raum auf den Menschen. Das Bild des Großstadtflaneurs hat sich mittlerweile zum „Cyberflaneur“ in virtuellen Räumen weiterentwickelt.

Guerilla Gardening

Der Begriff bezeichnet ursprünglich die Bewirtschaftung bzw. Aussaat von Pflanzen auf fremdem Landbesitz. Diente diese indirekte Landnahme manchen Menschen sogar zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts oder zum politischen Protestes gegen bestehende Besitzverhältnisse, so hat sich das Guerilla Gardening in den Innenstädten zum Lifestyle-Event gewandelt. Dem Anlegen von kleinen Gärten und dem Pflanzen von Blumen auf öffentlichen Plätzen, Randstreifen oder um Straßenbäume herum wohnt zwar immer noch der Aspekt des Protestes gegen die Tristesse der Großstadt inne, die Hobbygärtner können aber mittlerweile nicht nur des Nachts und im Geheimen tätig werden. In vielen Städten hat sich Guerilla Gardening mittlerweile öffentlich institutionalisiert und wird von den Behörden erlaubt und gefördert. Der angehende Guerilla Gärtner kann sich bei der Stadt registrieren, um die notwendige „Verbindlichkeit“ zu schaffen. Was als Protest gegen die innerstädtische Verwahrlosung gestartet wurde, ist nun zu einem langfristigen Rettungsprojekt zur Pflege und Erhaltung öffentlicher Räume geworden.


Innenstadt-Garten. Foto: Sidsel Bech-Peterson (CC)

Literatur:

· Ulf Heuner (Hg): Klassische Texte zum Raum. Berlin, 2008.
· Stephan Günzel (Hg): Raumtheorie: Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Berlin, 2006.
· Barbara Pallenberg: Guerilla Gardening. Renaissance Books, 2001.
· Stefanie Proske (Hg): Flaneur. Begegnungen auf dem Trottoir. Edition Büchergilde, 2010. Mit Texten von Edgar Allan Poe, Charles Baudelaire, Walter Benjamin, Franz Hessel, Christoph Bauer und Cees Nooteboom u. a.
· Justus Dahinden: Architektur - Architecture. Stuttgart, 1986.
· Wahlafrid Strabo: De cultura hortorum – Über Gartenbau. Ditzingen, 2002.


Water-Landscape. Foto: Nicolas Risch (CC)