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Fotografie mit Zeit

Augenblick und Flüchtigkeit in der Fotografie

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Fotografien sind Bilder, die die flüchtige Wirklichkeit während eines ganz bestimmten Momentes im Bild festhalten und damit die Zeit anhalten. Sie sind stille Bilder, da sie nicht, wie der Film, eine Zeitspanne festhalten können. Es gibt jedoch auch Bestrebungen in der Geschichte und Theorie der Fotografie, die der Idee einer zeitlichen Wiedergabe von Wirklichkeit durch Fotografie nachspüren. Die Frage ist, wie die Fotografie auch die Dauer von Zeit thematisieren kann.

Die Zeit der Aufzeichnung

Die Eigenschaft der mechanischen Aufzeichnung von Wirklichkeit und das Festhalten des Augenblicks sind zwei charakteristische Merkmale des fotografischen Bildes. Der Begriff des Augenblicks deutet darauf hin, dass das, was wahrgenommen wird, innerhalb unseres Gesichtsfeldes liegt. Dieses Wahrnehmen ist ein visuelles Erkennen, das den flüchtigen Augenblick im Gedächtnis festhält. Diese flüchtige Wirklichkeit wird im fotografischen Bild aufgehalten. Die Zeit steht in der Fotografie still. Gleichzeitig trägt jede Fotografie auch Zeit in sich, da sie einen bestimmten Zeitpunkt – einen Augenblick – im Bild festhält. Deshalb sind Fotografien immer stille Bilder. „Die ganze Idee des Anhaltens von Bewegung ist zutiefst photographisch“, bemerkt die Kunstkritikerin und -Professorin Rosalind Krauss, und interessanterweise beschäftigt sich derzeit eine Vielzahl von Kunst- Medien- und Literaturwissenschaftlern mit der „Zeit im fotografischen Bild“ als eine maßgebliche, medienspezifische Eigenschaft von Fotografie.
Wie genau also verhält es sich mit Zeit – Zeitlichkeit – Zeitdauer in Bezug auf die Fotografie?
Die Bestimmung der Zeit im Bild ist keine einfache Sache und sie hat Theoretiker, Fotografen und Künstler immer wieder beschäftigt. Bereits die frühen Pioniere der Fotografie richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Frage der Zeitlichkeit innerhalb der Fotografie, indem sie sich vor allem mit der neuen Möglichkeit der Fixierung fotografischer Bilder beschäftigten. Mit Hilfe chemischer Verfahren (Fixierung) ließ sich ein still gestellter Ausschnitt der Wirklichkeit im Bild dauerhaft festhalten und damit wurde die Zeit angehalten. Hierin unterschied sich das fotografische Bild von den bis dahin gewohnten Darstellungen der bildenden Kunst, deren Stillstellung im gemalten Bild nicht als Resultat eines Aufzeichnungsverfahren der Wirklichkeit entstand, sondern als Produkt der Fähigkeit des Malers bzw. des Grafikers. Der Züricher Wissenschaftsforscher und Bildtheoretiker Peter Geimer sagt: „Erst seine Kopplung an das Reale, machte das stillgestellte Bild zur Aufzeichnung des Gewesenen“, und stellt damit heraus, dass fotografische Bilder weniger in ihrer Stillstellung als solches, sondern vielmehr in ihrer frappierenden Nähe zur Wirklichkeit auf die Zeit der Aufzeichnung verweisen.

Zeitlichkeiten im Bild I

Die ersten Gedanken der Pioniere der Fotografie lassen sich hervorragend am Konvolut von Henry Fox Talbot ablesen, der sich mit seinem Buch „pencil of nature“ bereits Mitte des 19. Jahrhunderts (1844-1846) in Bild und Wort dem Phänomen Fotografie näherte. Die Fotografie „Paris, Boulevard des Capucines, circa 1845“ veranschaulicht diesen Gedanken der Fixierung von Zeit im Bild. Von erhöhtem Standpunkt aufgenommen, zeigt Talbots Foto die Straßenachse eines Pariser Boulevards. Aufnahmestandort, Himmelsrichtung und zeitliche Angaben präzisieren die Aufnahmesituation. „Die Zeit ist Nachmittag,“ so schreibt Talbot auf den Zeitpunkt der Aufnahme verweisend. Auch der dazugehörige Text ist weniger als klassische Bildbeschreibung zu verstehen, sondern als Bericht der Anschauung des Fotografen genau jener Wirklichkeit, die er wahrnahm, als er die Fotografie erstellte. Für Henry Fox Talbot ist die Fotografie vor allem ein konservierendes Verfahren, welches die Wirklichkeit dauerhaft fixiert. Die zeitliche Dauer des fotografischen Aufnahmevorgangs charakterisiert die Fotografie und ist damit ein Verweis auf die Zeitlichkeit im Bild.

Zeitlichkeiten im Bild II

Der Soziologe und Filmwissenschaftler Siegfried Krakauer und der Philosoph Roland Barthes werfen circa 140 Jahre später erneut einen Blick auf die Zeitlichkeit in der Fotografie. Für beide rückt der Zeitpunkt der Aufnahme, der ein aktuelles Geschehen im Bild festhält, mehr und mehr in die Ferne der Vergangenheit. Die im Foto abgebildete Zeit betrachten Barthes und Krakauer, indem sie historische Aufnahmen zum Gegenstand ihrer Betrachtung machen. In seinem Buch „Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie“ führt Roland Barthes aus, dass die Fotografie nicht spreche „über das, was nicht mehr ist, sondern nur (...) über das, was gewesen ist.“ ... „Was ich sehe, ist keine Erinnerung, keine Phantasie, keine Wiederherstellung, (...) sondern das Wirkliche im vergangenen Zustand: das Vergangene und das Wirkliche zugleich“. Die Zeitlichkeit des Fotografischen liegt für Barthes nicht in dem, was ist, sondern in dem, was gewesen ist: Fotografie als Tatsache der Anwesenheit von etwas Vergangenem. Der technische Prozess des Festhaltens und Fixierens der Wirklichkeit, der bei Talbot im Vordergrund der Betrachtung lag, tritt bei Barthes in den Hintergrund. An seine Stelle rückt der Moment, in dem die Fotografie betrachtet wird.
Seine Gedanken zur Fotografie formulierte Barthes anlässlich konkreter biografischer Erfahrung. Anstoß zum Schreiben des Buches war der Tod seiner Mutter und die Suche nach ihr in alten Fotografien. Über das Foto der Mutter, das nur Barthes bekannt und im Buch nicht abgebildet ist, spürt er den zentralen Qualitäten der Fotografie nach. In der Betrachtung alter Fotos realisiert er die Gleichzeitigkeit verschiedener Zeitlichkeiten, die im Foto enthalten sind: der Moment der Aufnahme verweist auf eine Zukunft – „sie wird sterben“ – und das fotografisch Bewahrte zeigt eine absolute Vergangenheit – „sie ist tot“. Indem Barthes den Zeitpunkt der historischen Aufnahme in Bezug zum Jetzt ihrer Betrachtung setzt, verweist er auch auf den Tod, der in jedem Foto als ein „unabweisbares Zeichen künftigen Todes“ (Barthes) enthalten ist. Für den Betrachter einer Fotografie wird Anwesendes (das Bild zum Zeitpunkt der Betrachtung) und Abwesendes (der historische Moment der Aufnahme) mit einander verwoben.

Zeit und Zeitdauer

Der Zeitbegriff begleitet die Fotografie von ihren Anfängen bis heute. Die unterschiedlichen Zeithorizonte – die Zeitlichkeit im Bild, die den Aufzeichnungscharakter von Fotografie betont, die abgebildete Zeit, die Geschichte evoziert und der Zeitpunkt der Betrachtung – sind im fotografischen Bild eingeschrieben und gehören zu ihm.
Darüber hinaus gibt es eine weitere Tendenz innerhalb der Fotografie, die neben der Zeit auch die Zeitdauer in das fotografische Bild zu integrieren sucht und damit die Fotografie in die Nähe des Films rückt. Auch Filmaufnahmen sind ihrem Ursprung nach Fotografien, ihr Rohmaterial ist fotografisch. Beide geben Konfigurationen der sichtbaren Welt wieder. Während die Fotografie eine winzige Zeitspanne im stillen Bild einfängt, zeigt der Film die Welt in ihrer Bewegung. Der Film lässt in kontinuierlicher Folge ein Bild aus dem anderen hervorgehen, der Fotografie bleibt diese Möglichkeit verschlossen. Erste frühe Bildautoren, die die Zeit als Zeitdauer interpretierten und diese im Bild festzuhalten versuchten, waren der französische Physiologe Ètienne Jules Marey und der britische Fotograf Eadweard Muybridge. Beide entwarfen Kameras, um Bewegungen von Menschen und Tieren festzuhalten und zu erforschen. Während Marey die Teilbilder der Bewegung in ein einziges Bild überführte, zerlegte Muybridge die Bewegung in eine Sequenz aus fotografischen Einzelbildern. Auch Alfred Stieglitz, 1864 geboren, einflussreicher amerikanischer Fotograf, Galerist und Mäzen, suchte die Zeitdauer in seinen frühen Wolkenbildern, die unter dem Titel „Equivalents“(ab 1922) bekannt wurden und die in der ersten Findungsphase mit „Songs of the Sky“ betitelt sind. Stieglitz war fasziniert von den unterschiedlichen Formen der Wolken, die so frei und rasch über den Himmel gleiten. Es ist anzunehmen, dass er unter dem Einfluss seiner Zeitgenossen, Klee und Kandinsky, die ihre Kunst in Beziehung zur Musik setzten, auch seine Wolkenbilder in der Phase ihrer Entstehung mit Musik im Titel versah: „Music: A Sequence of Ten Cloud Photographs“ (Musik: eine Folge von 10 Wolkenfotografien), sowie „Clouds in Ten Movements“ (Wolken in zehn Sätzen). Indem Stieglitz seine Wolkenbilder in Analogie zur Musik setzt, die per se in der Zeit abläuft, sucht er bewusst die Nähe zur Zeit und betont damit den Zeitaspekt in seinen Wolkenbildern.

Interdisziplinäre Ansätze

Seit 2009 wird an der Folkwang Universität der Künste im Studiengang Fotografie im Rahmen mehrerer Projekte versucht, Fotografie und Zeit als Zeitdauer zu verknüpfen und dabei die Nähe zur musikalischen Komposition als zeitbasiertem Medium zu nutzen. Hier arbeiten Lehrende und Studierende an der Verknüpfung von Fotografie – Zeit – Klang und im Juni 2009 wurden erste Ergebnisse im Konzert-Projekt „Folkwang Medial – Round Midnight“ sowie in der Ausstellung „trans | gen“ in der Mischanlage der Kokerei Zollverein in Essen gezeigt. Die minimalistischen Räume der Bunkerebene der Kokerei wurden zur Inspirationsquelle für ein Gesamtprojekt, das die Verbindung von Fotografie | Video | Computeranimation und Klang suchte. Gezeigt wurden beispielsweise „Zeitbilder“, die die Grenzen zwischen dem stillen und dem bewegten Bild zu öffnen und neue Grenzen auszuloten versuchen. Mittels der Technik von Videoaufprojektionen greift das Bewegtbild in das stille Bild ein und verändert seinen überwiegend abstrakten Status. Erweiterte Assoziationsräume eröffnen sich und interpretieren das Bild neu.
Andere Arbeiten suchten die Verbindung von Fotografie | Graphik und Video | Computeranimation sowie Klang zu realisieren. Dabei werden stille und bewegte Bilder zu neuen Bewegt-Graphiken verschmolzen, die keine stillen Fotografien mehr sind, aber noch keine bewegten Video- bzw. Filmbilder sein wollen. Eine interaktive Klanginstallation, die in ihrem zeitlichen Ablauf eine erweiterte Beziehung zum Bild suchte, vermittelte zwischen den unterschiedlichen Medien, indem sie sowohl den Zuschauer, als auch die erklingende Instrumentalmusik des Abends in immer neuen Verknüpfungen mit einbezog.
Die Arbeiten markieren einen ersten Forschungsansatz, der neue Codierungen von Zeit impliziert. Sie präsentieren unterschiedliche Auffassungen und mediale Verknüpfungen im Hinblick auf „zeitliche“ Konzeptionen von Kunst. Sie sind selbst zeitlich, weil sie neu sind und weil sie Fragen nach der Wahrnehmung von Fotografie aufwerfen und den Umgang mit Zeit im Prozess der Herstellung des Produkts zum Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung machen.

Zukünftiges

Derartige Arbeiten und Überlegungen machen deutlich, wie komplex und schwierig die Verbindung von zeitbasierten und nicht zeitbasierten Medien ist. Innerhalb der zeitgenössischen abstrakten Fotografie lässt sich eine erste interessante Tendenz ablesen: Während im konventionellen fotografischen Motiv, wie die Ausführungen von Talbot und Barthes zeigen, die Zeitlichkeit selbstverständlich in die Fotografie eingeschrieben ist, da sie qua Referenz ein Raum-Zeit-Verhältnis zur Wirklichkeit hat, ist diese Zeitlichkeit im abstrakten Motiv verschwunden. Auf Grund des fehlenden zeitlichen Bezuges suchen abstrakt tendierende Fotografien oftmals nach neuen Wegen, Zeitlichkeit und somit Zeitdauer im abstrakten Bild neu zu definieren. Neben dem Film stellt die Musik eine weitere Möglichkeit, Zeitlichkeit und Zeitdauer von Fotografien zu thematisieren; ihre Immaterialität hat Künstler unterschiedlicher Sparten immer schon fasziniert und inspiriert.
Darüber hinaus zeichnet sich ein selbstverständlicher Umgang in der Verknüpfung unterschiedlicher Medien ab, die auf Grund ihrer Digitalität enger zusammen rücken. Damit ist die Fotografie und Fotokunst in guter Gesellschaft; auch andere Disziplinen – Philosophie, Psychologie, Soziologie, Semiotik und Kommunikationswissenschaften thematisieren die neue Zeitlichkeit von digitalen und analogen fotografischen Bildern. Der Zeitbegriff erstreckt sich über alle künstlerischen Genres und das Nachdenken über den Begriff der Zeit bietet viele Ansatzpunkte: Zeit ist ewig, vorbei, latent, eine Momentaufnahme, ein Projekt, der Schnappschuss, eine Sequenz. Zeit ist biografisch, zyklisch, Epoche, Prosa, Mode, Zwischenzeit – Zeit ist immer präsent.

Autorin: Elke Seeger ist Professorin für Fotografie an der Folkwang Universität der Künste in Essen seit 2007. Auch arbeitet sie als selbstständige Fotografin in künstlerischen und angewandten Projekten.

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Foto: Weltzeituhr © Meike Emmerich

Projekt „Stadt/Raum“

Das aktuelle interdisziplinäre Projekt der Folkwang Universität der Künste heißt „Kulturelles Handeln im transkulturellen Raum“ und beschäftigt sich mit der musikalischen und fotografischen Wahrnehmung des städtischen Raums. Ein Stadtteil von Castrop-Rauxel wird in Zusammenarbeit mit der Emschergenossenschaft künstlerisch erfasst und multimedial interpretiert. Fotografie, Video, Klang, Performance und Tanz werden räumlich zusammengeführt und nehmen aufeinander Bezug. Erste Ergebnisse werden vom 18. bis 20. November 2010 im Pina-Bausch-Theater der Folkwang Universität der Künste in Essen-Werden zu sehen sein.

La Chambre claire

„Die helle Kammer“ (Paris 1980) war Roland Barthes letzte Veröffentlichung zu Lebzeiten. Das Büchlein gilt als Wegbereiter fotografischer Betrachtung. Sein Fokus liegt nicht auf dem dokumentarische Charakter der Fotografie, sondern Barthes betont die Fähigkeit des fotografischen Bildes, für einen bestimmten Moment, die Wiederkehr des Toten zu ermöglichen. Die so evozierte Meditation über die Stilllegung der Zeit reflektiert die semiotischen wie auch die poetischen Dimensionen der Fotografie.

memento mori?

„Alte Fotografien! Alle sind schon tot, die auf euch zu sehen sind; (...) die Gartenstühle vermodert, die Seidengarnituren zu Staub verfallen; von den Menschen sind vielleicht einige Grabsteine übrig (...) Da hängen an den Wänden die alten Fotografien und zeigen unbeweglich das alte Licht, das eins auf sie fiel“, so Kurt Tucholsky über den memento mori Gedanken der Fotografie (Kurt Tucholsky: Altes Licht, in: Gesammelte Werke, Bd. 2, Reinbek 1975, S. 344-347).

(Foto: © Nikole Handel)


Die erzählte Zeit

Die Zeit als Begriff in der Fotografie umfasst sowohl die technischen Aspekte als auch die Einbindung der Zeit in die Aussage des Bildes selbst. Im April 2010 wurde das Thema in unterschiedlichen Ausstellungen und im Rahmen eines Symposiums aus der Perspektive verschiedener Fotografen, Wissenschaftlern oder Philosophen vorgestellt: Jetzt – Die erzählte Zeit.
Darmstädter Tage der Fotografie vom 23. bis 25. April 2010,
Veranstalter: Förderverein Darmstädter Tage der Fotografie. Vgl. Jetzt - Die erzählte Zeit

"Zeiträume"

ist der Titel einer Bildserie der Fotografin Petra Wegener (Hochschule Wismar), die das Thema „Zeit im Bild“ durch langzeitbelichtete Fotoaufnahmen aufgreift. Als Motive wählt sie vor allem unbewegte Objekte. Um den Aspekt der Zeitdauer im entstandenen Foto zu unterstreichen, untermalt sie einige der Bilder mit der tatsächlich gehörten Geräuschkulisse während der Belichtungszeitspanne. Im Rahmen seiner Initiative „Junge Fotografie“ stellt das Magazin GEO Petra Wegeners „Zeiträume“ auf seiner Internet-Seite vor.

Fotografie und Dokumentation

Zahlreiche Projekte beschäftigen sich mit der Fotografie als Instrument zur Erstellung von Zeit-Dokumentationen. Ein Beispiel:

Auf der Suche nach einem innovativen Icon für ihre Webseite begannen die Zwillinge Tobias und Sven Staude damit, jeden Tag Selbstporträts von sich anzufertigen und online zu stellen. Jede Aufnahme für sich genommen ist nichtssagend, zusammengefügt jedoch ergeben die Bilder eine faszinierende Dokumentation des Alterns, denn das Projekt besteht mittlerweile seit 7 Jahren. Auf der Homepage der Brüder sind nicht nur alle Fotos zu sehen, sondern auch ein Video, das jeweils einen 1000-Tage-Zeitraffer abspielt. www.twindex.de

Beschleunigung

Beschleunigung ist nicht nur ein Produkt des digitalen Zeitalters. In das Jahrzehnt der Erfindung der Fotografie fällt die Einführung des Personenzuges (1830), des Rechengeräts (1833) und des transatlantischen Telegrafen (1844). Es folgten das Telefon (1876), das Automobil (1890er), das Kino (1894), das Radio (1900-1910), das Flugzeug (1903), das Fernsehen (1939), das Internet (1969), der erste weit verbreitete PC (1976) und das Mobiltelefon (1982). Damit wurde auch die Zeit selbst zum Gegenstand der theoretischen Reflexion, Spekulation und Beunruhigung. In seinem Buch Liquid Modernity beschreibt der Soziologe Zygmunt Bauman die Moderne als ein Zeitraum „der Beschleunigung und der daraus folgenden Fähigkeit, die Zeit zu manipulieren.“ Indem Zeit gedehnt, montiert, komprimiert und neu verpackt wird, wird Zeit als technologisches Konstrukt erfahrbar.

Marey & Muybridge

In den Beispielen unten ist deutlich die unterschiedliche Herangehensweise an die Bewegungsfotografie zu erkennen: Marey (oberes Bild) stellt die einzelnen Bewegungsschritte als fließende Übergänge innerhalb eines Bildes dar, während Muybridge (unteres Bild) Einzelbildstudien anfertigte und aneinanderreihte.

(Fotos: Wikipedia)


Wissenswertes


Erste Foto-Bücher

Der englische Privatgelehrte William Henry Fox Talbot (1800- 1877) entwickelte 1835 das erste Prinzip des Negativ-Positiv-Verfahrens, das die Vervielfältigung eines fotografischen Bildes durch Abzüge vom Negativ ermöglichte. Talbot Buch „Pencil of Nature“ erschien in unterschiedlichen Editionen zwischen 1844 und 1846. Es enthielt 24 Originalabzüge, die in das Buch eingeklebt wurden, und war somit das erste mit Fotografie illustrierte Buch. (Henry Fox Talbot, The Pencil of Nature, im Schuber mit Faksimile, Reprint des Original Textes, Lindesmanns /Hogyf Budapest 1998)

Titelbild des Buchs „Pencil of Nature“ (Quelle: Wikipedia)

Bild und Bildstörungen

Die Geschichte technisch erzeugter Bilder war von Anfang an auch eine Geschichte der technischen Bildstörung. Die Störung setzt die Botschaft aus: Statt der gewünschten Abbildung der Welt liefert der Apparat ein unvorhergesehenes Bild seiner eigenen Materialität. Dies irritiert den Fluss der Information. Schleier, Schlieren, Unschärfen, und abschmelzende Bildschichten geben Anlass dazu, über die Funktion eines bildgebenden Verfahrens nachzudenken.
Das Projekt „Bild und Bildstörung“ am Lehrstuhl für Wissenschaftsforschung der ETH Zürich untersucht anhand von Bildstörungen untersucht, was denn die fotografische Platte eigentlich zum Vorschein gebracht hat: Spuren des fraglichen Phänomens oder Spuren des Fotografischen selbst? Fakten oder Artefakte?

Mehrfachbelichtung

Im Rahmen der chemischen Fotografie kann es vorkommen, dass durch mehrfache Belichtung auf die gleiche Stelle der Emulsion eine sogenannte Mehrfachbelichtung stattfindet. Die einzelnen Bilder bleiben dabei alle sichtbar und überlagern sich. Obwohl dies ein Fehler bei der Fotografie ist, entstehen dadurch häufig interessante Kompositionen und Effekte, so dass die Mehrfachbelichtung auch bewusst eingesetzt wird. Auf diese Weise wird neben dem Festhalten von Zeitpunkten auch die Aufnahme von Zeiträumen in einem Foto ermöglicht.

camera obscura

Eine Lochkamera ist ein simples Gerät zur Erzeugung optischer Abbildungen. Sie benötigt keine Linse, sondern nur eine dunkle Zelle (eine camera obscura) mit einer kleinen Öffnung in der Frontwand. Das auf der gegenüberliegenden Innenseite entstehende Bild lässt sich dann auf lichtempfindlichem Material (Fotopapier oder Film) oder über einen elektronischen Bildwandler (Bildsensor) festhalten.
Ein interessanter künstlerischer Aspekt der camera obscura ist die Tatsache, dass sich schnell durch das Bild bewegende Objekte bei langen Belichtungszeiten nicht mehr auf dem Foto wiederfinden. So ist es möglich, stillstehende Objekte, zum Beispiel Sehenswürdigkeiten, völlig ohne Menschen oder Fahrzeuge abzulichten. Andererseits ergibt sich aus dieser Tatsache, dass eine Landschaftsaufnahme möglichst bei Windstille erfolgen muss, um etwa Verwischungen in den Ästen der Bäume zu vermeiden. Der Effekt der Mehrfachbelichtung kann jedoch gerade bei Portrait-Aufnahmen gewünscht sein, da er diesen Aufnahmen besondere Lebendigkeit verleiht.

„Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte“

ist eine Erzählung des amerikanischen Schriftstellers Paul Auster, die unter dem Namen „Smoke – Blue in the Face“ 1995 verfilmt wurde.
In der Geschichte lernt der Schriftsteller Paul den Tabakladenbesitzer Auggie kennen und erfährt von dessen höchst ungewöhnlichem Lebenswerk:
Jeden Morgen um Punkt sieben Uhr fotografiert er das Haus, in dem er wohnt – immer vom selben Standpunkt aus, immer aus demselben Blickwinkel. Das Ergebnis sind etwa 4 000 Fotos, säuberlich eingeklebt in zwölf identische Alben. Paul ist zunächst über diese vermeintliche Schrulle amüsiert, mehr höflich als interessiert blättert er in den Alben, überfliegt hastig die Seiten. Auggie unterbricht ihn: "Sie sind zu schnell. Wenn sie nicht langsamer machen, werden sie nie dahinterkommen." Erst jetzt erkennt Paul, dass alle Fotos anders sind. Das Licht und das Wetter wechselt, die Wolken haben stets eine andere Form, mal schauen Leute in die Kamera, andere hasten vorbei. Plötzlich ist Paul wie vom Donner gerührt, auf einem der Fotos erkennt er seine tote Frau. Tränen treten ihm in die Augen, er hat seine Lektion gelernt und die Poesie von Auggies Fotos erkannt.
(Quelle: http://www.arthaus.de/smoke)