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Lebenswelt Familie

Politik für Familien mit und ohne Migrationshintergrund

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Nicht nur in der Emscherregion wird viel über Familien geredet: Über eingewanderte, dass sie sich zu wenig anpassen würden. Über einheimische, dass sie zu wenig Kinder bekämen und es schaffen müssten, Erwerbs- und Familienarbeit zu vereinbaren. Die Sichtweisen der Familien selbst stehen eher selten zur Debatte. Was wollen und was brauchen sie? Wovon sind ihre Lebenslagen geprägt? Wie wirken familien- und sozialpolitische Maßnahmen auf den Alltag von eingewanderten und von einheimischen Familien?

Ausländerrecht und Arbeitsmarkt

Komplexe und unübersichtliche Regelungen des Ausländerrechts greifen in die individuellen Lebensläufe und damit in die Netzwerke der Familien ausländischer Herkunft ein. Abhängig von dem jeweiligen Herkunftsland und ihrer Lebenslage eröffnet das Ausländerrecht unterschiedliche Aufenthaltsabsicherungen, die es den Familien erschweren, langfristig zu planen. Ebenso fördert die Idee, dass die deutsche Staatsangehörigkeit an eine Abstammungsgemeinschaft gebunden sei, nicht die Integration von Familien ausländischer Herkunft, sondern stärkt die Empfindung, nicht dazu zu gehören.
Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt gegenüber Familien ausländischer Herkunft Schließungstendenzen zeigt: Die Arbeitslosenquote von Ausländern liegt über der von Deutschen. Besonders ausländische Frauen sind überproportional im informellen Sektor beschäftigt. Mit der Erfolglosigkeit ihrer Bewerbungen begründet ein hoher Prozentsatz ausländischer Frauen, nicht erwerbstätig zu sein. Insgesamt nehmen die Anteile der Ausländer ab, die einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz haben. Da die ausländische Wohnbevölkerung zunimmt, bedeutet dies, dass mit geringer werdenden Einkommen eine größere Zahl von Menschen unterhalten werden muss. Auch eine steigende Altersarmut ist damit zu erwarten.

Flexibilitätserfordernisse

Auch einheimische Familien brauchen Unterstützung, das ist das zentrale Ergebnis des siebten Familienberichts. Familienleben verändert sich, weil sich Wirtschaft und Gesellschaft verändern: Das Risiko arbeitslos zu werden ist sehr viel größer geworden und damit hat die typisch deutsche Idee eines männlichen Hauptverdieners in der Familie keine ökonomische Basis mehr. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es eine größere Nachfrage nach Dienstleistungsberufen und deshalb haben Frauen als Beschäftigte mehr Möglichkeiten als noch vor dreißig Jahren. Dienstleistungsberufe sind aber durch hohe Flexibilitätsanforderungen gekennzeichnet und die Struktur des gegenwärtigen Arbeitsmarktes fordert überhaupt eine hohe Beweglichkeit von den Beschäftigten: Arbeitszeiten und Arbeitsorte stehen ständig zur Disposition.
Gelingendes Familienleben verlangt dagegen Verlässlichkeit und Sicherheit. Dieses Spannungsfeld von Flexibilitätsanforderungen, Arbeitslosigkeitsrisiken und dem Wunsch nach guten Familienbeziehungen verändert das Familienleben. Unzufriedene Paare, alltägliche Streitereien und hohe Scheidungsraten, die zumeist von den Frauen ausgehen, sind Ausdruck dieser vielfältigen Problematik. Und sie illustrieren, dass sich gegenwärtig eine Abkehr von einem Familienmodell vollzieht, das seit Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland als Leitbild existierte.
Heute müssen Frauen und Männer, Kinder und Eltern sich in der Familie ständig koordinieren und abstimmen. Gelingende Familienbeziehungen sind deshalb schon lange nichts Selbstverständliches mehr, sondern sie müssen immer wieder neu und aktiv hergestellt werden; eine Aufgabe, die im Wesentlichen von Frauen übernommen wird. Paradoxerweise stehen aber die von Familienpolitik, Sozialpolitik und Bildungspolitik gesetzten Strukturen im Widerspruch zu der vom Arbeitsmarkt geforderten Flexibilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: In Kinderbetreuung und Schulausbildung dominieren noch immer unpassende Zeiten und pädagogisch unzureichende Betreuungsformen. Finanziell schlecht ausgestattete Ganztagsschulen müssen beispielsweise auf ehrenamtlich tätige Mütter hoffen, um das Mittagessen zu sichern. Zusätzlich wird das Haupternährer- und Zuverdienerinnenmodell durch die Steuerpolitik nach wie vor begünstigt. Die Realität aber sieht schon lange anders aus.

Politische Anerkennung

Die Leistungen von Familien für die Gesellschaft sind keine naturwüchsige, unversiegbare Quelle. Auch sie sind eine Ressource, die der Sorge um ihre Nachhaltigkeit bedarf. Gegenwärtig reiben sich Familien durch das widersprüchliche Leben zwischen normativen Leitvorstellungen und sozial geforderten Notwendigkeiten auf: Politisch und strukturell wird die Mann-als-Ernährer-Familie gestützt, gleichzeitig sollen Frauen und Männer emanzipiert sein und sich die tägliche Sorge um die Kinder teilen sowie sich an die neuen Strukturen des Arbeitsmarktes anpassen. All dies ist für die Beteiligten schlichtweg sehr anstrengend.
Familien brauchen unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht, soziale und politische Unterstützung und Anerkennung. Eine demokratische Gesellschaft benötigt nicht nur ökonomische Entwicklung, sondern ebenso eine Fürsorge der Menschen untereinander. Familien produzieren „gemeinsame Güter“, wie beispielsweise Versorgungsleistungen, Sozialisation und Spannungsausgleich, die für alle Menschen wichtig sind und allen zugute kommen. Ohne den Erhalt solcher fürsorgender Tätigkeiten, die von Männern und Frauen gleichermaßen geleistet werden (können), kann es keine Entwicklung und keine Zukunft geben.
Deshalb muss auch im Emschertal dafür gesorgt werden, dass Familien- und Sozialpolitik wieder darauf ausgerichtet ist, die Familien zu stützen. Statt innen- und arbeitsmarktpolitischen Vorgaben und Zwecken zu folgen, wäre es wichtig, die jeweiligen Ressourcen von einheimischen Familien und Familien ausländischer Herkunft zur stärken. Das meint nicht zuletzt eine Anerkennung und Unterstützung der Leistung von Frauen und eine Förderung und Wertschätzung der familialen Netzwerke von Familien ausländischer Herkunft.

Was brauchen Mütter, Väter und ihre Kinder?

Alle Familien – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – brauchen Rahmenbedingungen, die es den Eltern ermöglichen, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen und diese auch zu genießen. Die Flexibilitätsforderungen des Arbeitsmarktes schaden der notwendigen Kontinuität von sicheren Bindungen in Familien, denn Kinder brauchen Verlässlichkeit, spiegelnde Kommunikation, Zeit zum Spielen, zum Ausprobieren, für Irrwege, für Entwicklung, für Geschichten, Lieder und Bücher. Mütter und Väter brauchen Zeit für ihre Kinder, aber auch Zeit für sich und Zeit als Paar. Ständiger Druck, der sich aus ökonomischer Not, aus Flexibilitätsanforderungen und aus Angst vor Arbeitslosigkeit ergibt, schadet Müttern und Vätern und damit auch der guten Entwicklung ihrer Kinder, der nächsten Generation.
Hilfreich für eine bessere Lebensqualität von Familien in Deutschland wären – neben ökonomischen Sicherheiten – Räume, Stadtteilzentren, in denen Austausch statt findet: Über Erfahrungen mit Erwerbsarbeit, mit Familienleben, mit den veränderten Geschlechterrollen, mit dem Leben in unterschiedlichen Kulturen. Solche Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund machen Gemeinsamkeiten offensichtlich, die soziale Konfliktpotenziale reduzieren und neue Möglichkeiten gemeinsamen Lebens in der deutschen Einwanderungsgesellschaft und damit auch im Emschertal eröffnen.

Autorin: Dr. Cornelia Mansfeld, geb. 1953, ist Professorin für Soziologie und Sozialpolitik an der Evangelischen Fachhochschule in Darmstadt.

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Foto: City-Palais Duisburg, Joachim Schumacher © ruhrstadtbild

Einwanderungsland?

15,3 Mio Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund.
Davon sind 8,9% Ausländer, 9,7 % sind eingebürgert.
91% davon leben in Westdeutschland.
16% davon sind in Deutschland geboren, 84% sind zugewandert.

Interkulturelle Verständigung

Kunst nimmt beim Emscher-Umbau eine Vielzahl von Rollen ein.
Unter anderem ist sie Medium der interkulturellen Verständigung.
Die Kunst als nicht- und übersprachliches Mittel des individuellen und kollektiven ästhetischen Ausdrucks erleichtert den Emscheranwohnern mit Migrationshintergrund die Partizipation am Emscher-Umbau.
(Quelle: Masterplan Emscher-Zukunft)

(Foto: Türkische Frauen im Hinterhof der ehemaligen Zechensiedlung an der Eisenstrasse in Marxloh nahe der Merkez Moschee, Ralph Lueger © ruhrstadtbild)


Lebenslauf-Balancen

Es ist erforderlich, beide Geschlechter an der familialen Arbeit und der Erziehung von Kindern zu beteiligen. Deshalb sind politisch unterstützte Maßnahmen für die Balancen von Familie und Beruf für Frauen und Männern wichtig.

Migration und Integration in Sozialen Berufsfeldern

Durch Migration und Integration sind wir herausgefordert, kulturelle Normen und Werte zu überdenken und zu erweitern. Dies spielt vor allem auch eine wichtige Rolle in sozialen Berufsfeldern. Teils aufgrund von Selbst-, teils aufgrund von Fremderfahrungen beschäftigen sich Seminarteilnehmer beim aktuellen forum nrw mit neuen Herausforderungen in sozialen Berufen in der multikulturellen Gesellschaft.
(Quelle: www.aktuelles-forum.de)

Sinus-Studie

Im Vergleich mit der deutschen Bevölkerung haben die Migranten eine jüngere Altersstruktur, einen höheren Anteil mit niedrigem Schulabschluss, aber auch einen höheren Anteil Akademiker. Und: Sie haben deutlich weniger Einkommen.
(Quelle: www.sociovision.de)
Weiterer Link zur Studie "Bildung, Milieu und Migration" www.stiftung-mercator.de

Integrationsstudie

Jeder dritte türkische Akademiker will nach dem Studium lieber in der Türkei arbeiten, so eine neue Studie. Die Mehrheit der jungen türkischen Akademiker fühlt sich nach der neuen Befragung des Futureorg Instituts für angewandte Zukunfts- und Organisationsforschung wohl in Deutschland. Trotzdem beabsichtigen fast 40 Prozent der Befragten in den nächsten Jahren in die Türkei zu ziehen. Ein weiteres Drittel könnte sich vorstellen, innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre auszuwandern. An der Onlinebefragung des Instituts haben zwischen Dezember 2007 und Januar 2008 173 türkische bzw. türkischstämmige Personen teilgenommen. Sie wurden nach dem Verhältnis zu ihren Eltern und deren Einstellung zu Bildung gefragt. Außerdem relevant war ihre Haltung zu Deutschland und zur Türkei und die Bedeutung von Heimat.

(Foto: Ladeninhaber in seinem Kiosk in Duisburg, Ralph Lueger © ruhrstadtbild)


Wissenswertes


Familienberichte

Familienberichte werden von der Bundesregierung in Auftrag gegeben. Eine Kommission von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern legt regelmäßig eine umfassende Problemanalyse vor und macht Vorschläge für eine Familien unterstützende Politik.
(Foto: © Emschergenossenschaft)

Schulangebote

„Stadtteilschule“, „Erfahrungs-
schule“, „Erziehungs- und Familienschule“, das sind die Überschriften aus der Programmatik der Evangelischen Gesamtschule in Gelsenkirchen-Bismarck, die ein „Leuchtturm“-Projekt der IBA Emscherpark war und die Teil des Stadtteilprojekts Gelsenkirchen-Bismarck/Schalke-Nord ist. Die Schule ist eine in ökologischer Holzbauweise auf einer Industriebrache gebaute Gesamtschule im Ganztagsbetrieb mit einem hohen Anteil muslimischer Kinder aus dem Stadtteil. Die Identifikation der Schüler mit ihrer Schule ist hoch. Der Grund ist leicht zu verstehen: Die Schule gehört den Kindern, zumindest haben sie sie selbst gebaut. Die Schüler entwerfen und bauen im fünften Schuljahr selbst (unter Anleitung) ihr Klassenhaus. Das Wirkungsmodell ist einfach: Eine Schulausbildung, die Freude macht, brechen Kinder nicht ab. Ein Haus, das ihnen gehört, zerstören sie nicht, sondern nutzen es in einem Stadtteil, der sonst kaum Orte für Kinder hat, als ihr Haus.

Migrationsprojekte

„Migrationsprojekte“ sind generationenübergreifende Familien-Netzwerke zur gegenseitigen ökonomischen Absicherung unter widrigen Umständen. Kompetenzen und Begrenzungen der beteiligten Generationen bestimmen den Erfolg des Migrationsprojekts.

Pottporus = Ruhrpott und Bosporus.

Verein und Festival bestehen seit 1999, zentraler Bestandteil ist der Ruhrpott-Battle, ein international renommierter Straßentanz-Wettbewerb für Jugendliche und junge Erwachsene, die in der Straßenkultur verwurzelt sind.
Pottporus realisiert Genre und System übergreifende Kunstprojekte und ist dabei Netzwerker, Professionalisierer und Arbeiter für eine klassenlose freie Kulturperspektive.
Ziel ist, die Unterstützung für kreative Arbeit mit jungen Menschen mit einer transnationalen Biographie und den gleichberechtigten Austausch von Künstlern aller Sphären voranzutreiben, um daraus neue Kunstinhalte und individuelle Künstlerperspektiven zu generieren.
Schwerpunkte der Programmatik sind: Internationalität, Interkulturalität, Straßenkultur,
Basisarbeit in Schulen sowie die Nachwuchsförderung im vereinseigenen Kulturzentrum.
Weitere Informationen unter: www.pottporus.de