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Technik & Technologien in Kunst & Kultur

Was hat Komponieren mit Montieren zu tun?

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Der Rhythmus industrieller Produktion und die Ästhetik von Maschinen und Apparaturen stellen bis heute einen beliebten Anlass für künstlerische Auseinandersetzungen dar. Über die verschiedenen thematischen Bearbeitungen hinaus gibt es aber auch Parallelen im Prozess der Herstellung von Kunst und Musik einerseits und industrieller und technischer Produktion andererseits. Am Beispiel des Montierens soll dies veranschaulicht und diskutiert werden.

Ein gemeinsames Produktionsprinzip?

In der industriellen und technischen Produktion spielt das Montieren als Produktionsprinzip und praktische Tätigkeit eine wichtige Rolle. Im Unterschied zum Konstruieren, bei dem es darum geht, Ideen, Prinzipien und Verfahren zu entwickeln, welche die Funktion eines technischen Produkts, eines Geräts, einer Maschine oder eines Bauwerks gewährleisten, bezeichnet die Montage den planmäßigen Zusammenbau von Bauteilen und/oder Baugruppen zu Maschinen und technischen Anlagen, also zu Produkten oder Baugruppen einer höheren Erzeugungsebene.
Betrachtet man den Zeitraum von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, so sind für den Montageprozess im gewerblich-industriellen Sektor gravierende Veränderungen festzustellen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts herrschte eine rein manuelle, nur durch einfachste mechanische Werkzeuge unterstützte Arbeitsweise vor; erst mit Beginn der Großserien- und Massenproduktion am Ende des 19. Jahrhunderts gewannen die Verkettung einzelner Bearbeitungsstationen sowie die zunehmende Automatisierung des Fertigungsablaufs an Bedeutung. Die Rationalisierungsbewegung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, bei der vor allem Typisierung und Normierung eine Rolle spielten, führten zu einem veränderten Anforderungsprofil an den Monteur, aber auch den Konstrukteur. Musste der Monteur zuvor häufig Hinweise zum Umarbeiten von fertigungsunfreundlichen Konstruktionen geben, so wurde seine Tätigkeit nun stärker mechanisiert. Bei der Fließbandfertigung charakterisiert sich der Produktionsprozess als kurztaktig und schnittartig, die Ganzheitlichkeit der Produktion aus einer Hand oder einer Werkstatt zersplitterte sich in die verschiedenen industriellen Bereiche.
Von dieser Entwicklung im Bereich technischer Konstruktion und Produktion, hier besonders der Montage, blieb der künstlerische Schaffensprozess der musikalischen Komposition nicht unberührt.

Künstlerische Montagen

Im Zeitraum, in dem das Fließband in die Automobilindustrie eingeführt wurde, nämlich 1913 durch Henry Ford in den USA, hielten Montageprinzipien auch Einzug in audiovisuelle Medien, bildende Kunst, Literatur und Musik. In den audiovisuellen Medien erfolgte die Montage durch Kameratechniken bereits beim Aufzeichnungsvorgang oder bei der späteren Bearbeitung, etwa durch Wahl des Bildausschnitts, der Bildfolge oder durch Tonmischung. Beim Film diente Montieren zum Zusammenfügen von Bildsequenzen, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten spielen können. Dabei lässt sich durch Schnittverfahren die Begegnung des Verschiedenen oder des Gegensätzlichen dramatisch zuspitzen, um Handlungselemente in schneller Abfolge kontrastieren zu können.
Die bildende Kunst bediente sich der vom Film entliehenen Technik und setzte Kunstwerke aus heterogenen Materialien zusammen. Auch hier liegt die Aussagekraft der Montage in der zweckentfremdeten und kontrastierenden Verwendung ihrer Bestandteile. In der bildenden Kunst der 1920er Jahre diente diese Technik häufig der politischen Propaganda und auch in der Popart der 1960er Jahre (z.B. bei Robert Rauschenberg) war sie beliebt. In der Literatur finden sich Montageprozesse als Zusammenfügen sprachlich, stilistisch und inhaltlich unterschiedlicher Textteile heterogener Herkunft. Auf diesem Wege werden Verbindungen von Vergangenem und Gegenwärtigem, Nahem und Fernen, Realem und Phantastischen hergestellt. Besonders bekannt wurden Romane der 1920er Jahre wie John Dos Passos' „Manhattan Transfer“ (1925), Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ (1929) oder das Drama von Peter Weiß „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“ (1964). Angesichts der weiten Verbreitung der Montage in Technik und Kunst läßt sich mit Fug und Recht behaupten, dass es sich hier um ein übergreifendes kulturelles Produktionsprinzip handelt.

Der Komponist als Monteur

Die Komponisten dieser Zeit ließen sich vom Film, aber auch von den Montageprozessen in der Industrie inspirieren. Wurde der Komponist also zum bloßen Monteur von Klängen? Erik Satie (1866 – 1925), zu Anfang des 20. Jahrhunderts enfant terrible der Pariser Musikszene, Rosenkreuzer und KP-Mitglied in einer Person, durchbrach mit Stücken wie ,,Parade“ (1916/17) traditionelle Hörgewohnheiten und setzte zur Erweiterung seines musikalischen Instrumentariums Flugzeugmotoren und Schiffssirenen ein. Sein Klavierstück „Vexations“ dauerte zwar nur 80 Sekunden, war aber nach Anweisung des Komponisten sage und schreibe 840 Mal zu wiederholen. Dies kann als deutliche Anspielung auf die nervtötende repetitive Fließbandarbeit seiner Zeit verstanden werden, ein Thema, das auch Charlie Chaplin 1936 in seinem Film ,,Modern Times“ karikierte. Doch in unserem Zusammenhang wichtiger: Viele von Saties Musikstücken setzen sich aus wenigen, variabel platzierten Bausteinen zusammen; an die Stelle formaler Entwicklung traten das Reihungsprinzip, Verfahren der Baukastentechnik und – als deutsche Übertragung des lateinischen componere – das im wahrsten Sinne des Wortes ‚Zusammensetzen’ eines Musikstücks.
In seinem Werk ,,Sacre du Printemps“, das im Jahr der Einführung des Fordschen Fließbandes, 1913, seine Uraufführung erlebte und einen Skandal hervorrief, wandte auch Igor Strawinsky, einer der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, eine montageähnliche Schnitttechnik an. Er arbeitete mit kleinen motivischen Zellen, die er variativ zueinander in Beziehung setzte, sie beschleunigte, verlangsamte oder verkürzte.
Bei Georg Antheil (1900 – 1959), einem amerikanischen Avantgarde-Komponisten, der sich lange Zeit in Paris aufhielt und, nach eigener Bezeichnung, ein ,,bad boy of music“ war, tritt ein metaphorischer Umgang mit dem Thema Maschinen in den Vordergrund. Sein wohl bekanntestes Werk ,,Ballet Mécanique“ rief bei seiner Uraufführung in Paris 1926 einen Skandal hervor. Antheils Vorbild war Strawinskys ,,Sacre du Printemps“, das er aber an Ausdruckskraft noch zu übertreffen suchte. Antheil setzte neben elektrischen Klingeln auch zwei Flugzeugpropeller und Sirenen ein.

Emerging sounds in der Computer-Musik

Hatten schon die 1920er und 1930er Jahre durch eine Fülle neuer elektronischer Musikinstrumente auch in musikästhetischer Hinsicht Änderungen bewirkt, so wurden diese Änderungen Mitte des 20. Jahrhunderts noch intensiviert: Elektronische Musik und Computermusik entstanden und schienen ihren Verfechtern ungeahnte Möglichkeiten zu eröffnen. Im jugendlichen Überschwang wollte der Komponist Karheinz Stockhausen alles bisher Dagewesene durch elektronische Musik ablösen. Der Computer sollte als Hilfsmittel eingesetzt werden und die kreativen Spielräume erweitern. Die musikalischen Ideen stammten also - nach wie vor - von der Komponistin oder dem Komponisten, der Computer diente lediglich dazu, sie schneller umzusetzen und eventuell Alternativen anzubieten. Dabei ist aber der Mensch, immer noch, Herr der Situation und der Computer bleibt Hilfsmittel und Werkzeug.
Neben Kritikern, die schon in den 1920er und 1930er Jahren die Ontologie der Technik der Ontologie der Musik gegenübergestellt und für unvereinbar gehalten hatten, wiesen andere nicht zu Unrecht darauf hin, dass durch die neuen Technologien der Klangerzeugung und Klanggestaltung die Gefahr einer Determination durch technische Parameter bestünde. Immerhin wurden viele der Computersysteme zur Klangsynthese und zur Kompositionsunterstützung von Informatikern und eben nicht von Musikern erstellt. Die Grenze des ästhetisch tolerierbaren ist aber, den Kritikern zufolge, dann eindeutig überschritten, wenn der Computer- oder genauer der Algorithmus - eine Reihe definierbarer Regeln, die im besten Falle mit verschiedenen Zufallskomponenten ornamentiert sind, zum Surrogat kompositorischen Denkens selbst erhoben wird. Bei vielen jüngeren Komponisten elektronischer Musik steht allerdings außer Frage, dass beides vorhanden sein muss: eine gründliche frühe Beschäftigungen mit den einschlägigen Fragen der Informatik sowie musikalische und kompositorische Begabung und Übung.

Regeln des Konstruierens

Der Ingenieur Fritz Kesselring stellte in seinem Buch „Technische Kompositionslehre“ von 1954 Vergleiche zwischen dem Konstruieren und dem Kunstschaffen an, sein Hauptinteresse galt jedoch der Entwicklung fester Konstruktionsregeln, Konstruktionsalgorithmen. Von der Rationalisierungsbewegung der deutschen Industrie in den 1920er Jahren beeinflusst und mit dem Ziel, der Rohstoffknappheit in Deutschland, die vor allem die Aufrüstung nach 1933 behinderte, Rechnung zu tragen, sprach er sich für ein wirtschaftliches, ressourcensparendes Konstruieren aus. Dabei ist Konstruieren, dem Konstruktionswissenschaftler Hugo Wögerbauer zufolge, ein vorstellungsgemäßes Entwickeln eines neuen, bis dahin nicht vorhandenen technischen Erzeugnisses und der entsprechenden Konstruktionselemente. Vor allem seit den 1980er Jahren zeigt sich, dass beim Konstruieren das Befolgen fester Konstruktionsregeln, Algorithmen, in den meisten Fällen zwar hilfreich ist und zum gewünschten Ziel führt, für neue, ambitionierte Problemstellungen aber nur einen begrenzten Nutzen bietet. Hier kommen neben langer Erfahrung und „implizitem Wissen“ (tacit knowledge) auch Intuition und Originalität zum Tragen, so dass sich somit die Tätigkeiten des Konstrukteurs und des Komponisten durchaus annähern können. Das, was wir empirisch über technische und künstlerische Schaffensprozesse wissen, weist jedenfalls in diese Richtung.
Auf jeden Fall aber muss der Komponist selbst die unterschiedlichen Werkzeuge aufgrund ihrer ästhetischen Implikation beurteilen und werkadäquat einsetzen können.

Autor: Hans-Joachim Braun, geb. 1943, ist emeritierter Professor für Neuere Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg.

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Der Dortmunder Musiker und Künstler Richard Ortmann beim Projekt „UPGRADE“ 2006. / Foto: Klaus Baumers / © Klaus Baumers

Musik als Handwerk

So vertrat beispielsweise der Komponist Igor Strawinsky (1882 – 1971) mit Nachdruck die Ansicht, dass ein Komponist seine Stücke „fabriziert“, betonte also das handwerkliche Moment des Komponierens.

Film-Montagen

1909 schnitt David Mark Griffith in seinem Film „The Lonely Villa“ zur Steigerung der Spannung zwei Parallelhandlungen ineinander. In den 1920er Jahre machte dann Sergei M. Eisenstein die Montage als stilbildendes Element prominent.

Das Baustein-Prinzip

Das Clustern als künstlerischer Prozess wird in Analogie zur Natur, in der sich Elementarteilchen als kleinste bekannte Bausteine der Materie, Nukleinbasen als Bausteine der Nukleinsäuren DNA und RNA finden, in der bildenden Kunst sowie Literatur verwendet.

Konstruieren nach Algorithmen

Die wachsende Komplexität der technischen Entwicklung überfordert die Möglichkeiten von Algorithmen in technischer Konstruktion wie musikalischer Komposition. Technik und elektronische Musik müssen durch Einbeziehung weicher Faktoren geöffnet werden.

Foto: Bastian Goetz


Röhren und Klänge

Auch die Montage endloser Röhrensysteme im Zuge des Emscher-Umbaus inspiriert Klangkünstler zur Auseinandersetzung zum FlussKlang:RiverSound.

Siehe: www.riversound.de

Foto: Klaus Baumers


Wissenswertes


Mécanique Mon Amour

Audiovisuelles Projekt von Karl-Heinz Blomann und Eckart Waage aus dem Jahr 1993, das u.a. in Essen im Rahmen des Rheinischen Musikfestes aufgeführt wurde. Die dazu entstandenen Filme von Antje Christ und Jean-François Guiton sind in Ausschnitten auf dem EMSCHERplayer zu sehen.
Das Projekt entsprang der Sympathie für eine Region, deren Wesensmerkmale aus dem Verbund von Menschen und maschineller Produktion bestehen. Die Schnittstelle Mensch - Maschine zeigt gerade hier Gesicht - bisweilen in melancholischen Zügen.
Der rasante Industrialisierungsprozess hinterlässt vornehmlich Erinnerungen, das Nachklingen der kaum wahrnehmbaren Melodien auch kleinster Produktionsvorgänge bis hin zum kraftvollen Nachhall ohrenbetäubender Übermaschinen. Für Klangvisionen mit diesem Instrumentarium stellen Elektronik und Digitaltechnik neue Mittel bereit.
"Musik als Industrie-Recycling": Eine Gefühlsbekundung, die auf die widersprüchliche Verbindung zwischen Natur und Technik und ihre Synthese in der Kunst hinweist.

(Grafik: Dietmar Koch/eignart)