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Das uns Fremde und Andere

Kulturelle Unterschiede als Anlass und Gegenstand von Kunst

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Kunst und Kultur sind vor allem dann international, wenn sie zur Ware werden. In der weltweiten Verteilung von Produkten der Kulturindustrie zeigt sich eine Dynamik, die zum einen überrascht und verwundert, zum anderen normal und selbstverständlich erscheint. Ein Mix aus Sushi, balinesischen Teakholz-Möbel, Capoeira und koreanischen Pianistinnen ist in unseren Alltag eingezogen. Ist Internationalität notwendigerweise an Kommerzialisierung gebunden?

Ein Blick zurück

Vor einigen Jahrhunderten waren die fernen Kulturen noch keine Absatzmärkte westlicher Kulturgüter und erst ansatzweise Fundorte fremder Kulturgüter und ästhetischer Anregungen. Aber schon immer waren die Entdeckungsreisen von der Idee der Transzendierung des eigenen, kleinen, lokalen Alltags begleitet. Schon bei Kolumbus war das Zeitalter der Entdeckungen mit der Vorstellung verbunden, jenseits der Meere seien nicht nur unermessliche Goldschätze zu finden, sondern auch andere, glücklichere Menschen. Die Suche nach Neuem speiste sich gewissermaßen aus der Idee, dass mit der Entdeckung des Fremden und Anderem auch die eigene Kultur und die heimischen kulturellen und ästhetischen Ausdrucksformen bereichert werden könnten. So nahm parallel zur Abnahme der weißen Flecken auf dem Globus und zur Enträtselung der Natur im Diskurs der Aufklärung das Lesebedürfnis nach fiktiven und realen Reiseberichten aus Übersee zu und entwickelte sich spätestens nach James Cooks Tahiti-Reisen zu einer literarischen Mode.

Fiktive Reiseberichte

Zur gleichen Zeit entstehen in Frankreich und England Romane und Briefsatiren, die aus der fiktiven Perspektive eines Nichteuropäers die Zustände in Europa kritisch beleuchten - so z.B. die berühmten „Persischen Briefe“ Montesquieus. Nicht die Vorstellung des „Wilden“ gibt hier allerdings die Folie ab, sondern die des Orientalen, dem wie den Persern, Chinesen und Türken eigene Hochkulturen zugebilligt werden. Der „Wilde“ als Zivilisationskritiker tritt aber auch schon 1703 in Gestalt des Huronen-Indianers Adario auf. In Deutschland entstehen sehr viel später zwei Briefsatiren: Hans Paasches „Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins Innerste Deutschlands“ (1912) und das erfolgreiche Plagiat Erich Scheurmanns: „Der Papalagi“ (1920), das 1977 ohne Nennung des Autoren, d.h. als scheinbar authentisches Zeugnis der Zivilisationskritik aus der Südsee, zum Kultbuch avancierte.

Autorin: Prof. Dr. Katharina Liebsch ist Professorin für Soziologie an der Goethe Universität Frankfurt.

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Kanalwelten: Metallrot / Foto: Philip Waage / © Philip Waage

Verdrängtes Eigenes

In diesen Diskurstypen erscheint die Fremde als Ort der Sehnsucht. Hier wird „das Fremde“ genutzt, um sich der eigenen Identität zu versichern. Die eigenen verdrängten Wünsche wird als „das Fremde“ abgespalten und auf „die anderen“ projiziert.
Kulturkontakt – Kulturkonflikt? Kontakte zwischen den Kulturen sind – damals wie heute – nicht bloße Begegnungen. Sie sind eingebettet in Machtbeziehungen, die Bestandteil einer jeden Form von Internationalität ist. Um nicht naiv einer Internationalität das Wort zu reden, die von diesen Machtverhältnissen abstrahiert, wäre es wichtig zu bedenken,
1. wie sich das Verhältnis von Wahl und Zwang bei kulturellen Begegnungen und bei künstlerischen Projekten gestaltet,
2. welche Hierarchien innerhalb der sich begegnenden Gruppen bestehen und wie die Möglichkeiten und Mittel verteilt sind,
3. welche Bewertungskriterien für die Einschätzung des Kulturkontakts angelegt werden. Der Kulturkontakt, der dazu beiträgt, dass Frauen ihre künstlerischen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen ist aus der Perspektive einer universalistischen Forderung nach Emanzipation begrüßenswert. Um aber den Erhalt des balinesischen Liedguts positiv zu würdigen, braucht es eine partikularistische Wertschätzung der Einzelkultur.

Internationale Projekte

Frits Gierstberg (Hg.): Suburban options. Photography commissions and the urbanization of the landscape.Rotterdam (Nederlands Fotoinstituut) 1998

Mixed Farming
The Changing Agrarian Landscape. Mit Fotografien von Cas Oorthuys, Willem van Heemskerck Düker, Joachim Brohm u.a., NAi Publishers / SKOR 2004

FlussKlang:RiverSound

Klangkunstprojekt mit internationaler Beteiligung in enger Kooperation mit europäischen Radiosendern: www.riversound.de

Wissenswertes

Edle Wilde

Die Mythen des „Edlen Wilden“ entstanden im 16. Jahrhundert. So nutzte z.B der französische Missionar du Tertre die Folie der in persönlicher Freiheit und Sorglosigkeit lebenden Antillenbewohner zur Kritik an den absolutistischen Zuständen zu Hause.
Der Edle Wilde ist ein Idealbild des von der Zivilisation unverdorbenen Naturmenschen. Das Konzept drückt die Vorstellung aus, dass der Mensch ohne Bande der Zivilisation von Natur aus gut sei. Die Vorstellung vom „Edlen Wilden“ setzt das Aufeinandertreffen einer „Kultur-“ mit einer „Naturgesellschaft“ voraus.