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Die Region als Kulisse des Glücks

Die nachträgliche Inszenierung des Besonderen

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Seit den 1980er Jahren erlebt „Regionalität“ eine echte Renaissance. Man findet sie als Element politischer Strategien, in ökonomischen Konzepten wie auch im Alltag, z.B. auf Speisekarten oder in der Wertschätzung von Dialekten. Slogans wie „Feuer und Flamme für das Ruhrgebiet“ oder auch die Aufforderung „Emscher soll Heimat sein“ (www.emscher-freunde) zeigen, dass auch die Kulturpolitik das Lokale entdeckt hat. Dabei wird das Lokale neu erfunden.

Die ästhetische Herstellung des Lokalen

Das Lokale lebt im Unterschied zu seinem Gegenteil, dem Globalen bzw. dem Internationalen, davon, dass hier Räumlichkeit durch eine ästhetisch akzentuierte Identifizierung emotional aufgeladen wird. Darin liegt zwar die besondere Qualität des Lokalen und Regionalen, zugleich aber werden durch Ästhetisierung und Emotionalisierung auch die Grenzen und Begrenzungen des Regionalen erneut akzentuiert und befestigt. Der Regionalismus neueren Datums ist subjektbezogen und hat ästhetischen und erlebniszentrierten Charakter. Er zielt auf die Herstellung von Zugehörigkeit und darauf, die Region mit angenehmen Erinnerungen und der Erfahrung guter Gefühle zu verbinden. Die Region ist Motor und Ort von Events, Parties und Ausstellungen, die auf spontane, sinnliche Erkenntnis ausgerichtet sind und die Mittel, wie Verfremdung und Assoziation einsetzen. So wird heute ‚Regionalität’ vor allem durch Labels und Logos konstruiert. Es entsteht eine inszenierte und neue, künstliche Regionalität, eine Welt „frei flottierender Zeichen“ (Jacques Lacan). Diese Zeichen beziehen sich auf keinen Referenten jenseits der Inszenierung. Dem Aufstieg der Signifikanten „Förderturm" und „Landesgartenschau", Bergmannschören und Taubenzüchtervereinen entspricht der Niedergang der wirklichen Regionen. Keine reale Landschaft vermag die Regionalitätserlebnisse auszulösen, die die flottierenden Signifikanten im Kosmos der regionalen Events ermöglichen. Aber: Welche Beziehungen hat die inszenierte Welt von Industriebrache und Herzlichkeit der Bewohner, Gruga und Ruhrstrand eigentlich zur realen Gestalt regionaler Symbolpolitik und kollektiver Ansprüche und Erwartungen? Sind sie Abbild und Zeichen der jeweiligen landschaftlichen, historischen, ethnisch-kulturellen Besonderheiten? Oder neue Varianten einer geschichtslosen und kommerziell ausgerichteten Vermarktung von Regionalität?

Autorin: Prof. Dr. Katharina Liebsch ist Professorin für Soziologie an der Goethe Universität Frankfurt.

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Die renaturierte Alte Emscher im Landschaftspark DU-Nord ist mittlerweile zu einem beliebten Naherholungs- und Ausflugsort geworden. An den Ufern trifft man häufig Fußgänger oder spielende Kinder an. / Foto: Jochen Durchleuchter/ © Emschergenossenschaft

Mensch.Emscher!

Eine Expedition durch das Emschertal macht die Region zum Erlebnisraum. Tourentipps, Ausflugsziele in einer Region, die schon morgen anders aussehen wird.
www.emscher-expedition.eu


„Kulturorte als Lernorte?“

Kann die Stärkung des Regionalen dazu beitragen, Neues zu lernen, beispielsweise die vielzitierte „interkulturelle Kompetenz“ zu stärken? Positionen zu dieser Frage finden sich unter www.soziokultur.de

Wissenswertes

Peripherie oder Zentrum?

Die Emscherregion ist ein polyzentrischer Verdichtungsraum, der früher über Kohle und Stahl definiert war und sich heute zunehmend mit der Rheinregion verbindet. Eine neue Form der Megacity ? Siehe www.ruhr-2030.de.

Einzigartigkeit und Einmaligkeit:

Kulturelle Aktivitäten tragen dazu bei, eine Region ästhetisch reizvoll erscheinen zu lassen. Sie liefern Stoff für Identifizierungen, weil die die Dynamik und die Kraft außergewöhnlicher Ereignisse haben, die allen einmaligen Ereignissen inne wohnt. Jede „Nacht der Museen“, „Nacht der Industriekultur“, jedes Fußballspiel, jede Ausstellung und regionales Künstlertreffen ist ein Teil-Element des neuen Regionalismus, kann als Anlass und Vehikel für die Produktion einer „Wir-Region“ wirken. Dabei spielt das Oszillieren zwischen Lokalrivalitäten und regionalen Identifikationen eine wichtige Rolle und schafft es in seinen symbolisierten und vergegenständlichten Formen bis in die Regale von Souvenirläden. Wimpel, T-Shirts und bedruckte Kaffeetassen finden sich in Museumsshops, Theaterkassen oder Fußballstadien. Dabei mischen sich „alte“ und „neue“ regionale Identifizierungen und formen gemeinsam die Konjunktur des Regionalen. Tendenzen zur Selbstethnisierung und Ghettobildung gehören dabei ebenso zum Erscheinungsbild wie neue Provinzler. Aber eben auch neues Selbstbewusstsein.