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Unterwelten

Legendäre Zufluchtsorte, Gold-Depots, Müllentsorger – und Museum

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Abwasser fließt zumeist unterirdisch und das soll an der Emscher auch in nicht allzu ferner Zukunft so sein. Kilometer um Kilometer Röhren werden verlegt, unzählige Pumpen und Wasserspeicher werden installiert und es entsteht ein neues, weit verzweigtes Kanalsystem, eine neue Unterwelt. Von der Kanalisation als eigener Welt erzählen unzählige Filme, in denen vertriebene Ratten, abtrünnige Schildkröten, verfolgte Agenten, politische Rebellen und ganze Subkulturen im unterirdischen Labyrinth Zuflucht suchen.

Unterirdische Multifunktionssysteme

Legendär wurde die Kanalisation von Wien, Paris und Berlin als Schauplatz von Spielfilmen, aber auch andernorts dient das unterirdische Tunnelsystem als Lagerplatz, Party-Location, U-Bahn-Schacht oder Einkaufszentrum. Die berühmten Katakomben von Paris entstanden im 13. Jahrhundert, weil für den Bau von Palästen Steine benötigt wurden, die man dann unterhalb der Stadt ausgrub. Auf diese Weise entstand ein verworrenes System von Gängen und Schächten, das damals wie heute von Menschen genutzt wird: als Zufluchtsort für Verfolgte, Schmuggler und Obdachlose, als Rohrsystem für Versorgungsleitungen und Abwasserkanäle und als Depot für Gold und andere Schätze. So lagert die Französische Zentralbank irgendwo in den Katakomben die nationalen Goldreserven und aus den Abwässern des 10 Millionen Einwohner umfassenden Großraums werden täglich Kiloweise Schmuck, Uhren und andere Wertgegenstände gefischt.

Schätze, entflohene Aale und entsorgte Hundekadaver

Aber neben Glanz und Aufregung gibt es in der Unterwelt auch Sumpf und Ekel erregendes. Unzählige Ratten, aus Küchen entflohene Aale und entsorgte Hundekadaver – also der sprichwörtliche Müll und Auswurf der Gesellschaft – findet sich hier und führt im Dunklen und Feuchten eine eigene Existenz. Sumpf und Auswurf versinnbildlichen die Möglichkeit des sozialen Abstiegs, die Möglichkeit des Strauchelns, Scheiterns und des „Hinab-Gezogen-Werden“.
Darüber hinaus ist die Unterwelt auch ein Ort von Arbeit, Verantwortung, Technik und viel Geld. Hier wird ständig aufgeräumt, renoviert, neu gestaltet oder auch stillgelegt und zerstört. Davon zeugen für den Otto-Normal-Verbraucher lediglich die vielen Gulli-Deckel im Stadtgebiet und die auf der jährlichen Abrechung der Stadtwerke erscheinende Unterscheidung von Niederschlagswasser und Schmutzwasser. Ansonsten ist die Unterwelt außerhalb der Wahrnehmung und spielt alltäglich keine Rolle.

Unterwelt als Museum und Ausstellungs-Ort

Es ist diese Spannung von Faszination und Unheimlichem, von Unsichtbarkeit und Neugier, die das Thema Unterwelten für die künstlerische und kulturelle Auseinandersetzung so anregend macht. Auch das entstehende Abwässer- und Kanalsystem der Emscher ist vielfacher Anlass und Motor für künstlerische und kulturelle Aktivitäten.
Die Emscher-Unterwelt ist somit ein Ort für Kunst und Kultur, Thema und Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzungen und ein Stil- und Darstellungsmittel.

In Duisburg-Neumühl wurde im August 2007 die Erstellung der neuen Unterwelt beim Bau des Emscher-Abwassersammlers durch Baustellen-Führungen und Besichtigungstage für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Dunkle, Versenkte, Bodenlose, aber auch die Faszination von Technik und Machbarkeit zog viele Besucherinnen und Besucher an. rp-online.de

Autorin: Prof. Dr. Katharina Liebsch ist Professorin für Soziologie an der Goethe Universität Frankfurt.

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DU-Kleine Emscher © Archiv Emschergenossenschaft

Inspiration und Aufführung

Im Verlauf des Jahres 2007 und 2008 wurden im Rahmen des von Karl-Heinz Blomann initiierten Kunstprojekts FlussKlang:RiverSound von internationalen Künstlern vier Projekte der Akustischen Kunst realisiert. Ziel war die Hör- und Sichtbarmachung der Prozesse und Ergebnisse des Bauvorhabens Emscher-Umbau.
Die in 20-minütigen Hörfunk-Beiträgen vorgestellten Projekteinheiten arbeiten mit akustischem Material und klanglichen Eindrücken, die entlang der Emscher, auf ihren diversen Baustellen und mit den dort lebenden Menschen entwickelt wurden. Die Beiträge haben so vielversprechende Titel wie „Röhren“, „Auf der Emscher sind noch nie Schiffe gefahren“, „Eine Stimme | Eine Saite | Ein Fluss“ und „The Temple of Juice“. Sie werden am 26. Juli und 2. August 2008 jeweils um 23:05 im WDR 3 erstmalig gesendet.
www.riversound.de


Tag des offenen Kanals an der Kleinen Emscher in Duisburg-Neumühl

Am Samstag, dem 11. August 2007 konnten sich Bürger aus Duisburg und Umgebung ansehen, was danach nie mehr zu sehen sein wird: Die großen, unterirdischen Abwasserkanäle entlang der Kleinen Emscher sind weitgehend fertig, aber noch nicht in Betrieb. Unter dem Motto „Kanalwelten“ lud die EMSCHERGENOSSENSCHAFT Jung und Alt ein zu einer spannenden Begegnung mit der Unterwelt des Wassers.

Wissenswertes

Ausstellungsraum Luftschutzbunker

In Oberhausen wurde im Sommer 2007 die Unterwelt eines ehemaligen Luftschutzbunkers zum Ausstellungsraum. In der Kühle und Klammheit der dicken Betonmauern erlebten die mit Taschenlampen ausgestatteten Besucherinnen und Besucher die beeindruckende Inszenierung aus Klang, Lichtinstallation und Fotografien. So ungewöhnlich und einzigartig der Rundgang durch die Fotoausstellung auch war, man war irgendwie froh, wieder ans Tageslicht zu kommen und bei Bier und DJ die Eröffnung zu feiern und zu besprechen. Manche Besucherinnen und Besucher ließen es sich allerdings nicht nehmen, mehrmals in das Dunkle hinab zu steigen.
www.fotoprojekt-emscher-zukunft.de