EMSCHERplayer // Magazin // Kunst und Kultur // Stadt Land Fluss
Sie kennen das Spiel, bei dem ein Akteur im Stillen das Alphabet durchzählt, der andere „Stopp!“ sagt, um einen Buchstaben zu ermitteln. Dann müssen alle eine Stadt, ein Land, einen Fluss und andere Landmarken benennen, die zum Beispiel mit einem „E“ beginnen. Dabei ist es egal, ob „Essen“ in „Ecuador“ und an der „Emscher“ liegt; wichtig ist nur, dass die genannten Städte, Länder und Flüsse mit dem gleichen Buchstaben beginnen. Ein Spiel eben. Wenn aber Stadt, Land und Fluss tatsächlich beieinander liegen und zusammen gehören, dann wird das Spiel real und lebendig.
Zwar ist das Emschertal kein Land, aber eine Landschaft. Zwar wird der Ort Ebel eher mit Abwanderung als mit pulsierendem, städtischem Leben assoziiert – und die Emscher ist nicht wirklich ein Fluss, sondern meistens eine offene Betonröhre mit Kloake. Aber Stadt, Land, Fluss zu spielen macht auch deshalb Spaß, weil man – durch die Zusammenstellung auf der Grundlage von Anfangsbuchstaben – Lebensräume auflösen und neu denken kann. Dann könnten Engländer an der Emscher ihren Urlaub verbringen, Menschen aus Essen und aus Estland würden beim Emscher-Sommerfest zusammen picknicken. Wenn das so wäre, würden die Einheimischen tatsächlich Häuser für ihre Kinder und Kindeskinder bauen.
Diese Perspektive von Veränderung ist für die Idee des Neuen Emschertals zentral. In verschiedenen Kultur-Projekten der Emschergenossenschaft wird deshalb gezielt mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet, um sie zu einer Auseinandersetzung mit ihrer Region, ihrer räumlichen Lebenswelt, und deren Zukunftsperspektive anzuregen. Mittels Klangexperimenten, Fotografie, Bearbeitung und Herstellung künstlerischer Objekte und Expeditionen sowie archäologischen Ausgrabungen setzen sich die Kinder und Jugendlichen in Bezug zu der Region, in der sie aufgewachsen sind und in der sie leben.
Doch ist dies auch ihre „Heimat?“
Diese ist breit, bunt und schillernd. Die Rede ist von Herkunfts- oder Wahlheimat, von geistiger, sozialer oder räumlicher Heimat, vom eigenen Körper als kleinstmöglicher Heimat über die eigene Wohnung, über lokale, regionale, nationale, globale Zuordnungen bis hin zur „ewigen Heimat“ jenseits von Raum und Zeit. Immer häufiger wird dabei der Heimatbegriff im Plural verwendet, von „temporären Heimaten“ gesprochen oder von den vielen gleichzeitigen Heimaten einer Region als Ausdruck der Pluralität von Identität. Manchmal ist Heimat auch eine reale Erfahrung, wie das Graffiti „Heimat ist, wo es hart ist“ andeutet oder der Slogan von Direktvermarktern der Region Koblenz „Heimat schmeckt!“.
Autorin: Prof. Dr. Katharina Liebsch ist Professorin für Soziologie an der Goethe Universität Frankfurt.
PDF anzeigenSchulprojekt „Stadt Land Fluss - Neue Klänge aus dem Lebensumfeld Emscher“. Linke Abbildung: Emscherschule Essen Rechts: Heinrich-Böll-Gesamtschule Bochum / Foto: Klaus Baumers © Klaus Baumers
Liebevoll geschrieben und mit wertvollen Informationen gespickt ist die 60-tägige Reise von Hans van Ooyen, Veronika Maruhn und Fotograf Henning Maier-Jantzen entlang der Emscher. Herausgegeben von Dr. Jochen Stemplewski, erscheint „Mensch.Emscher! Eine Expedition durch das Neue Emschertal“ im assoverlag.
www.ruhr-guide.de
Die „Route der Migration“ durch die Geschichte der Ein- und Auswanderung in Nordrhein-Westfalen ist ein Projekt des Integrations-Beauftragten der Landesregierung NRW, Thomas Kufen, in Kooperation mit DOMiT Aytac Eryilmaz, Köln, und Dietrich Hackenberg (lichtbild), Dortmund.
Stadt, Land, Fluss – neue Klänge aus dem Lebensumfeld Emscher.
Das Großprojekt Emscher-Umbau setzt Stadt, Land und Fluss in eine neue Beziehung. Schülerinnen und Schüler aus den Emscherstädten Dortmund, Herne, Bochum und Essen setzen diese Dynamik, unterstützt von internationalen Komponisten, kreativ und musikalisch um. Sie erarbeiteten im Herbst 2005 eigene Emscher-Klangwelten und führten sie in den Herner Flottmann-Hallen auf. Weitere Infos unter www.emscher-reloaded.eu