Emscher-Dialog 12.07.2004: Die neue Emscher

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Die Zukunft der Emscherregion

Trends und Entwicklungen

Rede von Prof. Dr. Volker Eichener im Rahmen des Emscher-Dialogs zum Thema "Die neue Emscher - Gestaltungschancen für Leben, Wohnen und Arbeiten" am 12.07.2004 (in Auszügen). Prof. Dr. Eichener ist Geschäftsführer des InWIS Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung GmbH an der Ruhr-Universität Bochum und seit 1999 Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Düsseldorf sowie seit 2001 Dekan des Fachbereichs Sozialarbeit.

Wenn wir uns mit den Trends in der Emscherregion befassen, dann muss zunächst die bevölkerungsstrukturelle Entwicklung beachtet werden. Legt man die Daten des Statistischen Landesamtes zugrunde, dann sieht es für die meisten Kernstädte nicht gut aus im Gegensatz zu den Umlandgemeinden in der Region.

Welches Trendszenario lässt sich für die Bevölkerungsstruktur der Emscherregion ableiten?

- Die Wanderungsverluste werden sich abmildern, weil die hochmobilen Altersgruppen kleiner werden. - Die Sterbeüberschüsse werden massiv zunehmen. - Die Anteile der Hochbetagten werden steigen, ebenso die Anteile der Frühruheständler. - Die Anteile der Familien gehen drastisch zurück; die Anteile der Singlehaushalte steigen. - Die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge sorgen für wachsende Zahlen bei jungen Starterhaushalten.

Welches Trendszenario lässt sich für die Sozialstruktur der Emscherregion ableiten?

- Massive Zunahme der Anteile der Menschen mit Migrationshintergrund - Pluralisierung der Lebensformen und Lebensstile - Sozio-ökonomische Polarisierung - Verfestigung von Arbeitslosigkeit - Wachsende Armut: Dauerarbeitslose, Alleinerziehende, Alleinstehende, alte Menschen

In der Summe zeichnen sich also neben einer "Vergreisung" der Gesellschaft - parallel zu einer Vielzahl von jungen "Starterhaushalten" - auch "soziale Erosion" und Polarisierungstrends ab. Ein weiteres Merkmal in unserer region ist der Migrationshintergrund vieler Menschen - dieser hat zur Folge, dass sich "Parallelgesellschaften" entwickeln mit eigener Lebens-, Einkaufs-, Religions- und Freizeitkultur.

Was bedeuten diese Entwicklungen in der Summe für die Stadtentwicklung?

Ohne Gegensteuerung kann man auf Basis der heutigen Datenlage folgende Trends prognostizieren:

- Der Rückgang der Bevölkerung geht mit Alterung, sozialer Erosion und Rückgang der Kaufkraft einher. - Wir werden eine zurückgehende Nachfrage nach Wohnraum haben. Dieser Nachfrage steht ein Immobilienangebot gegenüber, welches den heutigen Lebensformen vielfach nicht mehr entspricht, z.B. was Grundriss, Lage oder Komfort angeht. - Wohnungsleerstände ziehen den Verfall von Mieten und Immobilienwerten nach sich. - Schwindende Wirtschaftskraft bedingt die Erosion des Einzelhandels, des Mittelstands und die Verarmung der Gebietskörperschaften. - Bevölkerungsveränderungen führen zum Rückgang der Wahlbeteiligung und zu politischem Desinteresse. - Die Segregation innerhalb der Städte, zwischen den Städten und dem Umland und zwischen den Regionen wird sich verschärfen.

Welche Konsequenzen müssen wir aus den aufgezeigten Trends ableiten?

Wir müssen erkennen, dass der Strukturwandel keine Lösung ist, sondern lediglich eine mathematische Konsequenz der De-Industrialisierung. Die Wirtschaftsförderung muss erkennen, dass es in der Emscherregion keine nennenswerten Industrieansiedlungen von ausländischem Großkapital mehr geben wird - zumal die großen Unternehmen kaum mehr Arbeitsplätze schaffen, sonder sie eher abbauen. Weiterhin sollten wir uns davor hüten, jede Mode mitzumachen und damit Überkapazitäten und Bauruinen zu verursachen. Es hat keinen Sinn, die großen Metropolen zu imitieren - es ist vielmehr zwingend notwendig, das eigene Profil zu schärfen! Unsere Stärken - Die "Ruhr-Kultur" und ihre endogenen Potenziale - werden durch die Menschen gekennzeichnet: Offenheit, Ehrlichkeit, Toleranz, Realitätssinn, soziale Nähe, Pluralismus. Auf dieser Basis müssen wir Nischen finden, das eigene Profil entwickeln und unverwechselbar werden. Das bedeutet zuallererst, auch die Trends und die sich entwickelnden Strukturen und Bevölkerungsgruppen zu akzeptieren und darauf aufzubauen: Die Menschen mit Migrationshintergrund und die jüngeren Bevölkerungsgruppen mit anderen Lebensformen.

Die "interkulturelle Herausforderung" betrifft alle (Großstadt-)Regionen der Bundesrepublik Deutschland. Die Emscherregion aber kann aufgrund ihres aus der Bergbau-Historie beispielhaft gewachsenen Solidaritätsdenkens ein Modellfall für die Lösung dieser Probleme werden.

Gekürzte Fassung erstellt: 28.01.2009 // 4.524 Zeichen inkl. Leerzeichen



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