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CHGKommentar am 02.10.2013 um 15:16

Laut Duden bedeutet Lernen, „im Laufe der Zeit (durch Erfahrungen, Einsichten) zu einer
bestimmten Einstellung, einem bestimmten Verhalten [zu] gelangen.“ Dass hierbei ein
fester Plan befolgt werden müsse wird nicht gesagt. Im Gegenteil: durch Erfahrungen,
Einsichten zu einem bestimmten Verhalten zu kommen ist exakt das, was Hausner als Ziel
des freien Vorgehens in der Schule definierte. Woher kommt es also, dass wir den in
unserer Sprache fest verankerten Ansatz des Erfahrungslernens im schulischen Alltag
gezielt unterwandern?


Zum Einen liegt es an unserem zweischneidigen Verhältnis zur Erziehung.
Selbstverständlich wollen Eltern „das Beste“ für ihr Kind. Das umfasst die permanente
Forderung nach Bildungsverbesserung, worunter auch das Erfahrungen-machen als
Planergänzung fällt. Es bedeutet aber auch die Adenauer'sche Formel – „Keine
Experimente“. Bürger, die über das abstrakte Thema Bildung abstimmen, machen sich
weniger Gedanken über die Auswirkungen für die aktuelle Schülerschaft, als Eltern, deren
Kinder unmittelbar betroffen wären. Jeder will das sprichwörtliche Beste, aber niemand will
die eigenen Kinder als Versuchskaninchen. Diese inhärente Angst vor den
benachteiligenden Kinderkrankheiten einer Reform resultiert in der Neigung am
Bisherigen festzuhalten. Neben das idealistische Beste tritt das sprichwörtliche „Never
change a running system!“, das es letztlich verdrängt. Ein Beispiel für die Expressionskraft
dieser Furcht konnten wir bei G9 sehen.

Eine Renaissance der Schulpolitik für mehr Offenheit und Mut in der Lehre – zur
Aufnahme des Unplanbaren in den Plan – ist also zuerst nicht Sache der PolitikerInnen,
LehrerInnen und PädagogInnen. Es ist vielmehr eine Herausforderung für Eltern, die in
einer global vernetzten Welt an vermeintlichen Frühindikatoren für den Erfolg ihres Kindes
klammern: Standardisierung und vergleichender Benotung. Unmessbares auf den
Lehrplan zu bringen nimmt ihnen psychologische Sicherheit.


Zum Anderen entspringt diese Furcht den Organisationen, die am stärksten fürs
Erfahrungsmachen eintreten, selbst. Denn lange bevor Pädagogen Freiheit in der Schule
forderten waren es Burschenschaften, Pfadfinder, Sportvereine, Religionen, Parteien und
Rettungsdienste, die sich ums Verhältnis junger Menschen zu Gesellschaft, Gemeinschaft
und Gruppe kümmerten. Noch immer greifen sie auf Lager zurück, auf Grenz- und
Naturerfahrungen. Sie vermitteln Sozialverantwortung, Team work und die Idee, eigene
Ziele zu verfolgen. Jede Organisation, die sich mit Kindern und Jugendlichen befasst, hat
es per se mit dem zu tun, was characters in-being meint. Es ist der beste Moment um zu
Zusammenhalt zu erziehen, zu Verantwortung, Mut und Demokratie.
Oder zur Abscheulichkeit.

In der Not des II. Burenkriegs hatte der britische Offizier Baden-Powell damals Gruppen
von Jungs aufgestellt, die er als Späher einsetzte. Er bemerkte, dass Verantwortung und
Teamgeist dazu führten, dass sie selbstsicherer und offener auftraten. Das bedeutete
zweierlei: erstens den charakterbildenden Wert dessen, was heute Jugendarbeit heißt.
Zweitens die schockierende Erkenntnis, dass ausgerechnet das Militär fähig war, diesen
Prozess zu initiieren – was viele Kinder kurzerhand töten würde. Seine Lösung bestand
1907 darin, eine strukturell ähnliche aber zivile Form ins Leben zu rufen, um Gefahr von
Erfahrung zu trennen.
Was in der Theorie simpel erscheint, zeigt sich im historischen Verlauf ebenso revidierbar.
Von FDJ über HJ/BDM bis hin zum heutigen US-Amerika, wo Boy Scouts auch
paramilitant-christlicher Fundamentalisierung dienen – jedes System nutzte „freiere“
Lehrmethoden zur Erziehung, oft in bewusster Vermischung von Kindheit und
Weltanschauung. Das das leider für alle Formen der Kinder- und Jugendarbeit gilt, liegt an
ihrer Funktion als „Entwicklungshelfer“. Immanent haben sie sowohl die Kraft, Team work,
Toleranz und Courage zu fördern, als auch Rassismus, Hass und Gruppenzwang. Die
Nazis zeigten die extreme Nähe beider Seiten, als sie das original pazifistische
Pfadfinderhandbuch schlicht um rassistische Kapitel erweiterten, und „Turnvater Jahn“
zeigte es im wilhelminischen Sport.


Es ist unmöglich zu garantieren, dass eine Entfesselung der Schule ohne negative Folgen
bleibt. Man könnte sich verkalkulieren und die Kinder wichtiger Zeit berauben. Insofern ist
die Angst der Eltern berechtigt. Gleichzeitig kann man am Beispiel der Girl Guides und
Boy Scouts sehen, dass auch klassische außerschulische Provider des Erfahrungslernens
anfällig sind.

Und trotzdem sollten wir nicht darauf verzichten. Denn eine Gruppe trägt mehr
Verantwortung als jede/r PolitikerIn, SportlerIn, PädagogIn und GruppenführerIn: Wir alle.
Denn es sind, waren oder werden unsere Kinder sein, die dem Leben mutig, offen und
zuversichtlich gegenübertreten sollen. Die in der Lage sein sollen, es zu meistern und ihr
Glück zu finden. Charakter lässt sich nicht per Buch vermitteln. Wir alle müssen den Mut
aufbringen, uns auch mal fürs Unbestimmbare zu entscheiden. Wir müssen uns genau
überlegen, was wir vermitteln wollen, und darauf achten, wie das geschieht. Trotz aller
Risiken müssen die Courage zeigen, try and error-mäßig auf die scheinbare Sicherheit zu
verzichten und unsere Furcht davor, es noch schlimmer zu machen, überwinden. In der
Schule wie auch im restlichen Leben.
Aber genau das wollen wir ja auch von den Kindern.

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MMKommentar am 07.11.2013 um 16:59

Die Frage nach dem Ziel der Schulbildung und nach der Methode zum Erreichen dieses Ziels wird stets wiederholt. Der Text von Herrn Hauser schildert eine der Antworten auf diese Frage.
Im folgendem Kommentar werden nur die maskulinen Begriffe, stellvertretend für die gesamten Genderformen, verwendet.
Herr Hauser betrachtet die Möglichkeit der Schüler Erfahrungen bei Herausforderungen zu sammeln als zentrales Element in der Schulbildung. Diese Erfahrungen erfolgen dabei nicht im Unterricht sondern in Projekten.
Meiner Ansicht nach, sollten diese Erfahrungen sich dabei auf zwei Ebenen befinden, der physischen und psychischen.
Auf der physischen Ebene sind es Wahrnehmungen wie Schmerz, Hunger, Durst, Kälte, Hitze oder Erschöpfung. Auf der psychischen sind es Konzepte wie Verantwortung, Autonomie, Eigeninitiative, Kompromissbereitschaft oder Willenskraft.
Diese Erfahrungen sind für einen Erfolg im späteren Leben notwendig. Außerdem stellen sie eine Vorbereitung und Motivation für eine spätere Teilnahme an „Diensten“ wie FSJ, FÖJ, BFD, FWD, Weltwärts oder Kulturweit dar.
Viele dieser Bereiche gehören bei immer weniger Kindern und Jugendlichen zum Erfahrungsschatz. Die Gründe dafür sind vielfältig. Diese gehen von der Präsenz eines überbehüteten Umfelds bis zur allgegenwärtigen Präsenz der sogenannten "Helikoptereltern".
Durch diesen Mangel erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns und einer Überforderung der Kinder und Jugendlichen beim Auftreffen auf die Realität.
Somit ergibt sich für Schulen ein weiteres Aufgabenfeld. Das Projekt "Eine Herausforderung meistern" stellt eine Antwort auf diese Lage dar. Meiner Ansicht nach, ist es ein Schritt in die richtige Richtung, bietet jedoch noch Platz für Verbesserungen.
Es ist notwendig dass die Schüler möglichst Erfahrungen auf allen Ebenen machen. Dazu bedarf es, falls notwendig, einer möglichst diskreten und unauffälligen Steuerung der Projekte durch das Lehrpersonal, um eine, sofern möglich, komplette Abdeckung der Bereiche zu erreichen.
Bei den Herausforderungen bedarf es einer Heranführung und Vorbereitung, sowie einer nicht allzu steilen Lernkurve. Daher können derartige Projekte erst erfolgen wenn den Schülern das geistige und körperliche Rüstzeug vermittelt wurde, um zu bestehen.
Dies ist notwendig, da ein Scheitern nicht nur eine Demoralisierung, sondern auch eine seelische und körperliche Verletzungsgefahr darstellt. Des weiteren wird die Auffassung, Analyse und Bewältigung von Herausforderungen beschleunigt, was wiederum bei gleichbleibendem Zeitansatz die Anzahl an Erfahrungen erhöht.
Außerdem muss vom Lehrpersonal abgewogen werden, wie viel Erfahrung vor Beginn des Projekts den Schülern zu Verfügung gestellt wird.
Dabei muss jedoch bedacht werden, dass der Planbarkeit nicht nur Grenzen gesetzt sind, sondern auch dass eine übermäßige Steuerung die Erfahrungen verfälscht. Hierbei muss ein Mittelweg zwischen den Extremen gefunden werden. Dies betrifft auch den Zeitansatz der Projekte im Schuljahr. Diese Projekte müssen in die Schulbildung integriert werden.
Jedoch darf bei dieser Integrierung nicht vergessen werden dass sie ein Element von vielen in der Schulbildung darstellen.

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simsontuningsdhKommentar am 13.11.2013 um 17:16

Die Existenz eines erfahrungsbasierten Lernens halte ich für einen zukunftsweisenden Schritt in die richtige Richtung. Das stupide Wiedergeben von Wissen, dass man die Woche darauf schon wieder vergessen hat, weil die Klausur geschrieben oder die mündliche Leistungskontrolle bestanden wurde, kann nicht der richtige Weg für die Heranziehung mündiger Erwachsener seien, die sich in einer sich ständig wandelnden Welt zurechtfinden sollen. Das Wissen wandelt sich so schnell, dass man dem gar nicht schritthalten kann. Deswegen kommt es meiner Meinung nach nicht darauf an konkretes Wissen zu vermitteln, sondern eher die Beschaffung und den Umgang mit Wissen zu fördern. Dies schließt selbstverständlich nicht eine gewisse Grundlage an Wissensverständnis aus, dass bei jedem Menschen geschult werden muss. Jedoch zeigt der Bericht schön, dass den SchülerInnen gewisse Freiheiten gegeben werden müssen, wie sie mit dem erworbenen Grundwissen umgehen können und vor allem wo sie es praktisch anwenden können. Dazu können Projekte, wie sie im Text ausführlich beschrieben werden, oder auch Praktika bei Firmen dienen. Meines Erachtens sollte sich der Schulalltag aus den stickigen Klassenräumen hinein in die Welt orientieren, um den Lernenden einen Anreiz für ihren späteren beruflichen Werdegang zu geben. Denn nichts ist schlimmer sich Wissen anzueignen, wenn man nicht weiß wofür. Diese Schulpolitik trägt dazu bei, dass sich die Schule wandelt. Auch die Erfahrung des Scheiterns ist sehr wichtig für junge Menschen, denn jeder von uns wird früher oder später einmal damit konfrontiert. Wenn man aber schon Erfahrungen im Umgang mit solchen Ereignissen in einer Zeit, wo das Hinfallen nicht wehtut, gesammelt hat, fällt einem das Aufstehen im Erwachsenenalter mit Sicherheit leichter. Praktika sind meiner Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg. Hier können die SchülerInnen Erfahrungen und Einblicke in die späteren Berufe erlangen und ganz individuell für sich entscheiden, ob sie Interesse haben diesen Beruf später einmal auszuüben oder eben nicht. Und wenn nicht, dann können sie in einem weiteren Praktikum sich einmal ein ganz anderes Arbeitsumfeld anschauen. Hier ergeben sich Perspektiven für den Ein oder Anderen die vorher nie in Erwägung gezogen wurden. Somit kann ich diesen Weg, der im Text beschrieben wird, nur vollends unterstützen und hoffe, dass sich noch mehr Bildungseinrichtungen anschließen werden. Vielleicht wird es auch eines Tages auf bundeseinheitlicher Ebene in das Bildungssystem aufgenommen. Bis dahin vergeht meiner Meinung nach, jedoch noch viel Zeit.

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Emmanuel A.Kommentar am 15.11.2013 um 00:20

In diesem Kommentar möchte ich genauer auf das angesprochene Projekt „Eine Herausforderung meistern“ eingehen. Im Rahmen eines Praktikums an der Schule Berlin Zentrum hatte ich die Gelegenheit eine Gruppe von Schülern bei ihrem „Herausforderungs-Projekt“ zu begleiten. Die grundlegende Idee dieses Konzepts halte ich für sehr sinnvoll und erfahrungsreich für die Kinder, falls diese Projekte vor deren Beginn von der Schule stärker kontrolliert und betreut werden.
Die Kinder können sich so ziemlich jedes Projekt auswählen, dass ihnen in den Sinn kommt, da die Planung und Organisation des Projektes bereits mit in die Herausforderung hinein zählt. Allerdings wird die Gruppe dabei nicht ausreichend betreut. Wenn die Gruppe aus Freunden besteht, die sich dazu entscheiden, eine Fahrradtour zu dem Ferienhaus eines Gruppenmitglieds zu organisieren und durchzuführen, um dann vor Ort als Selbstversorger zu leben und die anfallende Gartenarbeit zu erledigen, ist das im Grunde genommen, eine gute Herausforderung für eine Gruppe von 13-14-jährigen Schülern. Ist die Streckenplanung katastrophal, da niemand diese überwacht und die Kinder dadurch maßlos überfordert, ist das zwar auch eine Art der Herausforderung, es bleiben jedoch Zweifel, ob diese zu meistern ist. Da der Betreuer angewiesen ist, nur in Situationen einzugreifen und die Führung zu übernehmen, die eine Gefahr für Leib und Leben der Kinder darstellt, ist es nicht dessen Aufgabe, sich in die Streckenplanung einzumischen. Die Tatsache, dass die Kinder wissen, dass sie auch scheitern können, ist nicht unbedingt hilfreich bei einer Gruppe von pubertierenden Teenagern. Es soll zwar jeden Tag eine Art Tagebuch mit Bildern geführt werden, im digitalen Zeitalter ist man aber nicht gezwungen, dies auch wirklich konsequent jeden Tag durchzuführen.
Insgesamt lässt sich also feststellen, dass dieses Konzept der zu meisternden Herausforderung durchaus positiv und erstrebenswert ist, allerdings muss es eine stärkere Kontrolle durch die Schule in der Auswahl der Projekte geben. Eine weitere Möglichkeit wäre eine vorgegebene Auswahl an Projekten, zumindest in der Vorauswahl, die die einzelnen Gruppen dann in Eigenregie vorbereiten müssen. Die Kinder wären dadurch zwar etwas eingeschränkt, allerdings werden dadurch Projekte im eigenen Ferienhaus und dergleichen verhindert, die nicht wirklich eine Herausforderung darstellen.

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