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CHGKommentar am 02.10.2013 um 14:41

Die Zwischennutzbarkeit von Räumen ist ein Schritt, der eindeutig zur Verschönerung
zahlreicher Gebiete beitragen und die kulturelle und künstlerische Vielfalt fördern könnte.
Es ist eine simple, jedem freistehendes Tat, Kunstwerke zu erschaffen und dort zu
platzieren wo momentan ohnehin niemand sein will. Es entstehen weder Schaden noch
Kosten und niemand wird gestört.
Und trotzdem kann ich mir vorstellen, warum sich Behörden damit schwertun. Denn wer
davon ausgeht, dass Administrationen nur dann regulieren, wenn etwas die Ordnung aktiv
stört, der unterschätzt ihren „Weitblick“.
Politische Systeme sind auf den Zuspruch derjenigen Sozialgruppe angewiesen, die intern
den größten Machtanteil besitzt. Auch wenn der Staat in der Theorie als Inhaber aller
Gewalten Regeln nach Belieben formulieren, ratifizieren und durchsetzen könnte: In der
Praxis kann er das kaum ohne Toleranz der jeweiligen Machtgruppe tun. Auch legale
Absicherung schützt nicht vor Protest.
Diese Denkweise ist abstrakt, aber man muss abstrakt bleiben will man erklären, warum
jemand ernsthaft ein kostenloses Kunstmuseum(!) ablehnt. Es sieht so aus, als wäre eben
das letzte Szenario des Pudels Kern: der erfolgreiche Protest.
1994 wurde ein Stuttgarter Bauvorhaben präsentiert, das traurige Berühmtheit erlangte:
„S21“, das aufgrund des Widerstands mehrfach gestoppt wurde. Und als Frankfurt in den
1970ern um die Startbahn West erweitert werden sollte, waren hessische Gerichte über 10
Jahre mit Gegenklagen beschäftigt (während die Polizei händeringend versuchte, die
Baustelle freizuprügeln). Auch wenn es eigentlich Chruschtschows Weigerung war,
Sowjetpanzer nach Berlin zu entsenden: Der offene Bevölkerungswiderstand dürfte den
Mauerfall zumindest beschleunigt haben. Genauso verdanken die Aufarbeitung der NaziÄra
dem Einsatz der „68er“.
Wir sind uns dessen vielleicht kaum bewusst, aber wir haben eine Art Volksentscheid.
Manchmal erinnern wir uns daran, wie 2011, als ein einfaches Zeltlager das deutsche
Finanzzentrum zum Stillstand okkupierte. Unsere Gesellschaft schützt vehement, was sie
für wertvoll hält. Und das führt zurück zu den utopischen Potenzialen.
Eine temporäre Kunstausstellung auf sinnverlassenen Ruinen eine beeindruckend gute
Idee. Aber ist sie „temporär“? Genau das dürfte die Sirene in den Köpfen der
Administration sein. Die Furcht davor, jetzt die Kontrolle über unnützes Land abzugeben
und und wertvolles Baugebiet später nicht zurück zu kriegen. Denn letztlich bleibt genau
das zu erwarten, wenn eine wirtschaftlich schwache Region durch Kulturangebote wieder
lebenswert wird: früher oder später wird das Interesse steigen, Leute werden zuziehen
und die „Ruinen“ wieder nützlich. Von dieser Seite kann ich die Bürokratie verstehen. Nur
darf sie dabei eins nicht übersehen: Dieser Zustrom findet eben nur statt, wenn eben die
Attraktivität gehoben wird. Und das beginnt wiederum bei – man ahnt es schon – Kunst,
Kultur und genutztem Potenzial.

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simsontuningsdhKommentar am 13.11.2013 um 16:06

Der Zwischennutzung von Brachflächen, die aus verschiedensten Gründen derzeit keiner Nutzung unterliegen, scheint auf den ersten Blick nichts entgegen zu sprechen. Gerade wenn man bedenkt, dass es sich, wie in diesem konkreten Fall, um eine Nutzung mit künstlerischem Wert handelt. Bedenkt man jedoch die verschiedenen Interessenlagen der Menschen, die einen Anspruch auf diese Flächen haben, ist es schon schwer eine Entscheidung zu treffen, wie die Fläche in Zukunft genutzt werden soll. Ich bin der Auffassung, dass hier der Bürgerentscheid eine adäquate Entscheidungshilfe bietet. Wenn die Bürger Münchens sich gegen die Austragung der Olympischen Spiele in ihrer Stadt entscheiden können, sollten die Bürger Bochums auch entscheiden können, wie Teile ihrer Stadt in Zukunft genutzt werden sollen. Trotz städtebaulicher Anforderungen, sollte es immer die Bürger sein, die über Veränderungen auf städtischem Gebiet entscheiden. Mir ist bewusst, dass dies nicht einfach umsetzbar ist. Es sind hier verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: 1. Wer kommt bei eventuell entstehenden Schäden auf? Wer kümmert sich um die Brachflächen? Wer zahlt für die Instandhaltung, beziehungsweise die Reinigung solcher Flächen, wenn sie öffentlich zugänglich sind? Ein Freilichtmuseum zu schaffen, dass aus einem no-budget-Projekt entstanden ist, ist eine tolle Sachen, keine Frage. Nur aus solchen Projekten entstehen leider auch Kosten und sei es nur die Beseitigung der Kunstwerke, wenn die Brachfläche einer anderen Nutzung zugeführt werden soll. Dann kommt der Steuerzahler auf. Ich bin der Auffassung, wenn man ein solches Projekt plant, dann sollte dies öffentlich geschehen, mit einem ordentlichen Betreiberkonzept, dass der Bürgergemeinde präsentiert wird, damit diese darüber abstimmen kann. Denn ein Gebiet zu okkupieren und es einfach nach seinen Vorstellungen umzuwandeln, kann in Berücksichtigung anderer Interessenlagen nicht der richtige Weg sein. Projekte wie dies fördern die interkulturellen Kompetenzen ungemein, sollte jedoch auf einem breiten Fundament von Bürgern stehen und nicht singuläre Aktionen darstellen. Bürgerinitiativen sind hier das richtige Stichwort. Ich glaube auch kaum, dass sich die Stadt Bochum einer Mehrheit an Bürgern verschließt, die sich für eine individuelle Nutzung einer solchen Brachfläche einsetzt. Zumal eine künstlerisch gestaltete Freifläche ihren eigen Charme besitzt und zur Verschönerung der Stadtlandschaft beiträgt. Es bleibt zu bedenken, was mit den Kunstwerken geschehen würde, wäre kein Zaun um das zurzeit nicht genutzte Gelände. Wären diese dem Vandalismus ausgesetzt und könnten sich die Menschen über längere Zeit an ihnen erfreuen?

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Patrick Z.Kommentar am 13.11.2013 um 20:27

Zunächst einmal ist es schade, dass der Bericht von Herrn Schamp selbst, also dem Initiator der Kunstaktion verfasst wurde. Denn dadurch lässt sich keine neutrale Betrachtung des Sachverhaltes erwarten. Man erkennt an vielen Äußerungen, dass Herrn Schamp viel an diesem Projekt gelegen ist, z.B. "[...] Blödheit, Zwischennutzung auszuschließen!". Obwohl ich in diesem Punkt die Auffassung von Herrn Schamp teile, unterstreichen derartige Aussagen die sehr subjektive (und einseitige?) Darstellung der Geschehnisse. Da ich selbst kein fundiertes Wissen über die Geschehnisse und die örtlichen Gegebenheiten habe, beschränke ich mich in diesem Kommentar auf eindeutige Sachverhalte.
Dazu fasse ich zunächst die Aussagen Herrn Schamps zum Werfen der Kunstwerke auf das Brachland zusammen: 1. Es kostete die Stadt als Eigentümer nichts. 2. Es lag allerdings keine Genehmigung vor. 3. Das neu entstandene Museum hat künstlerischen Wert. Hinzu kommt noch ein Punkt, den ich aus einem vorhergehenden Kommentar aufgreife: Kosten könnten durch Entfernung der Kunstwerke entstehen, wenn dem Gelände schließlich eine neue Nutzung zugedacht wird. Auf Basis dieser Aspekte frage ich mich ernsthaft, wo hier der Unterschied zu illegal angefertigten Graffitis auf Brachflächen liegt, sofern diese künstlerisch interessant sind (wobei nur das Ergebnis betrachtet wird, und der Hausfriedensbruch, der zur Anfertigung nötig ist, in der Betrachtung vernachlässigt wird.).
Der Großteil des Beitrages von Herrn Schamp beschäftigt sich mit der Beschreibung vergleichbarer künstlerische Projekte im osteuropäischen Ausland. Diese waren und sind scheinbar sehr erfolgreich und werden von der Bevölkerung gut angenommen. Mit Sicherheit würde eine ähnliche Umsetzung in Bochum auch viele Anhänger finden. Allerdings befinde ich einige Lehren die er aus diesen Projekten zieht als sehr bedenklich. So appelliert er beispielsweise dazu, dass es keinen Handwerker bedarf um Hütten zu bauen, sondern auch Kinder dies sicherlich schaffen würden. Damit hat Herr Schamp aller Wahrscheinlichkeit nach auch recht, was sich durch diverse Baum- und Gartenhäuser in Deutschland auch zeigen ließe. Aber solche Konstruktionen auf öffentlichen Plätzen sind mit deutschen Sicherheitsauflagen schlichtweg nicht vereinbar. Ich bezweifle, dass eine Versicherung hier zu Lande für etwaige Unfälle aufkommen würde. In diesem Falle hätte die Stadt Bochum als Träger wohl ein Problem. Somit ist es verständlich, dass die Stadt sich auf ihre Fürsorgepflicht beruft.

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MMKommentar am 14.11.2013 um 11:32

Wie im Artikel von Herrn Schamp beschrieben, werden deutschlandweit immer wieder Stimmen laut, die eine öffentliche Nutzung von innerstädtischen Brachflächen fordern. Konflikte zwischen Eigentümern, Nutzern und/oder der städtischen Verwaltung sind in fast allen deutschen Großstädten Teil der Lokalpolitik.
Die Abläufe, Dynamiken sowie Argumentationen derartiger Konflikte ähneln sich stark.
Die folgende Argumentation stützt sich auf die Betrachtung folgender Fälle: Der Mauerpark zwischen Prenzlauer Berg und Gesundbrunnen in Berlin, das autonome Zentrum Rote Flora im Schanzenviertel in Hamburg und das im Text erwähnte Brach-Gelände in Bochum.
Zu Beginn der Entwicklungen steht immer ein ungenutztes Gelände, für das keine unmittelbar bevorstehende öffentliche oder private Nutzung durch Großprojekte bevorsteht. Es ist dabei irrelevant, ob eine Bebauung vorhanden ist. Wenn ein derartiges Vakuum vorhanden ist, beginnt eine Nutzung durch Aktivistengruppen, Anwohnern oder Interessengruppen. Die Nutzung erfolgt in den Bereichen der Freizeitgestaltung durch Kultur und Sport oder politischer Betätigung. Durch die Nutzung der Flächen und Räumlichkeiten entsteht einen Verankerung in lokalen Kultur und Lebensweise. Diese Bindung führt zu den starken und deutlichen Reaktionen der lokalen Bevölkerung auf Pläne, die eine Änderung der Nutzung als Folge haben.
Auf der anderen Seite befinden sich die städtische Verwaltung und Institutionen sowie etwaige Investoren. Der Konflikt entsteht bei der Beschlussnahme zur Nutzung des Geländes durch diese Akteure. Bei einem Beschluss der Investoren ist eindeutig, dass daraus ein Konflikt entsteht, da eine kommerzielle und gewinnbringende Nutzung zwangsläufig der bisherigen entgegensteht. Bei einer Verwendung durch öffentliche Institutionen und Strukturen entstehen Konflikte selbst bei einer Einigung zur Nutzung des Geländes. Gründe dafür sind die den öffentlichen Institutionen auferlegten rechtlichen Vorgaben. Dazu gehören zum Beispiel Bestimmungen zum Brandschutz, zur Müllentsorgung und zur Lärmbelästigung. Des weiteren Haften diese Institutionen für auftretende Sach- und Personenschaden. Die daraus resultierenden Normen sowie Veränderungen werden als Bevormundung und Einschränkung von den bisherigen Nutzern wahrgenommen.
Die daraus entstehenden Konflikte haben eine jahrelange Dauer. Des Weiteren werden sie auch mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln ausgefochten. Dazu gehören nicht nur Verhandlungen vor Gerichten und Gremien sondern auch teilweise gewalttätige Demonstrationen.
Wenn diese Dynamiken und Entwicklungen betrachtet werden, wird verständlich, warum die Eigentümer der jeweiligen Gelände, wie in Bochum, versuchen jegliche Art von Nutzung durch Dritte im Keim zu ersticken.
Ein Möglichkeit diese Entwicklung zu unterbrechen, wäre die Zulassung einer Nutzung durch
Aktivistengruppen, Anwohnern oder Interessengruppen kombiniert mit einer deutlichen Informationspolitik. Aufgabe dieser Politik wäre es, den Nutzern konkrete Pläne und Daten zum Umgang mit dem Gelände und der Dauer der Nutzbarkeit zu vermitteln. Dies ist jedoch sehr unwahrscheinlich, da langfristige Planungen und die Gewährung eines etwaigen Mitspracherechts keine typischen Charakteristiken einer öffentlichen Einrichtung, Verwaltung oder eines Investors sind.
Daher ist eine Änderung in der Entwicklung derartiger Konflikte eher unwahrscheinlich.

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