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CHGKommentar am 02.10.2013 um 15:18

Die Nutzung des Fremdheitsmotivs hat kulturell eine lange Tradition. Am wesentlichsten
tritt das wohl in der Literatur zu Tage. Gewissermaßen fallen selbst Werke wie Homers
Odyssee (um 720 v. Chr.) und Caesars Commentarii de bello Gallico (52/51 v. Chr.)
darunter, die perspektivisch hauptsächlich in der Fremde befindliche Protagonisten zur
eigenen Heimat sprechen lassen. Der prägende Wert dieser Gattung ist immens. Die
Odyssee ist Pflichtlektüre im Lehrplan der meisten Bundesländer, weil sie Kernelement der
europäischen Selbstwahrnehmung ist; Caesars Schriften wurden zur nahezu einzigen
Quelle dessen, was wir über die alten Völker des heutigen Nordwesteuropas wissen. Und
an Hermann Hesses „Der Steppenwolf“ (1927), welcher offen mit Goethes dogmatischer
Zwei-Seelen-Konzeption – einem Wesensmoment der europäischen Kulturen – bricht,
lässt sich zeigen, welche kulturelle Wirkung Fremdheitskonzepte entfalten können.
Aber abgesehen von der Fähigkeit, fester Bestandteil dessen zu werden, was den
Kontinent im Wesentlichen prägte, haben die Beispiele noch etwas gemeinsam: das
Fehlen von Kommerz. Hinter Caesars Schriften stand die Absicht, die römische
Gesellschaft von der Notwendigkeit seiner Kriege zu überzeugen, um die kaiserliche
Macht zu erhalten. „Homers“ Odyssee war eine Kollektion von verknüpften Sagen, die
nicht für einen Absatzmarkt verschriftlicht wurde, sondern um die eigene Kulturtradition zu
sichern. Hesse ist hier der Einzige, der wirklich die Absicht hegte, sein Buch zu verkaufen.
Wegen der brechenden Zivilisationskritik, die der entfremdete Protagonist verkörpert, kann
aber selbst hier nur schwer von Kommerz im Sinne eines Profitstrebens die Rede sein.
Offensichtlich lag die Hauptfunktion nicht in Vermarktung, sondern im Bestreben, beim
Leser ein gewisses Verhalten zu erzeugen.
Brauchen Kunst und Kultur also Kommerzialisierung, um international sein zu können? Die
Beispiele zeigen, dass einige der wichtigsten Kulturgüter einzelner Gesellschaften sich
ohne kommerzielle Bestrebungen kontinental und global verbreiten konnten. Demzufolge
nein. Die technische Möglichkeit einer solchen Verbreitung aber und das Bedürfnis,
Aspekte einer Kultur regelrecht zu importieren, hängen offensichtlich eng damit
zusammen. Und letztlich kommt es darauf an, welcher Definition man folgt: „Kultur“ kann
als Gesamtheit die Gesellschaft prägenden Künste und Traditionen gesehen werden, aber
auch als Sammelbecken all dessen, was nicht „Politik“ oder „Sport“ ist. Das würde auch
den Konsum von Pizza und Döner zur internationalisierten Kultur zählen, die ganz klar
marktorientiert ist.

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